4. Jänner 2023: 125 Jahre Sozialdemokraten im Parlament

Im März 1897 wurde in Cisleithanien, also der österreichischen Reichshälfte der Donaumonarchie, eine Wahl zum Abgeordnetenhaus abgehalten. Die vorhergehende Wahl fand 1891 statt. 1897 sollten erstmals Sozialdemokraten, vierzehn an der Zahl und vornehmlich aus den Sudetenländern, ein Mandat erobern. Doch wer kennt heute noch die Namen dieser Pioniere der ArbeiterInnenbewegung? Wir erinnern an Eduard Rieger, Josef Hannich, Jan Kozakiewicz, Ignaz Daszynski, Anton Schrammel, Eduard Zeller, Peter Cingr, Ernst Berner, Josef Steiner, Hans Resel, Josef Hybeš, Karl Vratny, Wilhelm Kiesewetter und Leo Verkauf. Der Steirer Hans Resel war übrigens der einzige, der in einem Wahlkreis, der sich im heutigen Österreich befindet, gewählt wurde. Denn insgesamt lag das Abschneiden unserer Kandidaten unter den Erwartungen, in den niederösterreichischen Industrieregionen und in Wien konnten wir kein Mandat erringen.

Wahlrechtsentwicklung

Die direkte Wahl des Abgeordnetenhaues des Reichsrates wurde im Jahre 1873 eingeführt (Mitglieder des Herrenhauses, der ersten Kammer, gehörten diesem durch Geburt oder Ernennung an). Damals waren nur wenige Männer im Land wahlberechtigt (etwa 6 % aller Männer), denn das Wahlrecht war an Besitz bzw. Steuerleistung gebunden. Es wurde schrittweise erweitert. 1882 gab esvier nach Steuerleistung gestaffelte Kurien (= Wählerklassen), wobei der Steuerzensus in der Kurie der Städte und in jener der Landgemeinden von zehn auf fünf Gulden (1 Gulden = ca. € 16) gesenkt wurde. 1896 wurde für die nicht schon bisher in einer der vier Kurien wahlberechtigten Personen eine neue, fünfte Wählerklasse geschaffen, in der das Wahlrecht an keinerlei Mindeststeuerleistung, sondern nur an ein Mindestalter von 24 Jahren, die Staatsbürgerschaft und eine mindestens sechsmonatige Ansässigkeit in einer österreichischen Gemeinde gebunden war. Die Zahl der Wähler stieg von rund 1,7 Millionen auf 5,3 Millionen. Auch die Zahl der Abgeordneten wurde erweitert, nämlich von bisher 353 um 72 (der neuen, fünften Kurie) auf 425. Diskriminierend wirkte sich aus, dass der Wahltag kein Sonntag war, deshalb lag die Wahlbeteiligung in der allgemeinen Wählerklasse 1897 bei 71,9 % (1901 bei nur 56,7 %).

Politische Konsequenzen

Die politischen Konsequenzen der Badenischen Wahlreform (nach Ministerpräsident Kasimir Felix Badeni, Anm.) können in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden; sie führten nämlich zu einer völligen Umgestaltung der Parteienlandschaft: Hatten sich bis dahin die Abgeordneten im Rahmen des Systems der so genannten „Honoratiorenparteien“ im Abgeordnetenhaus zu eher losen Fraktionen zusammengeschlossen, so machten die nunmehr veränderten Erfordernisse der Wählermobilisierung die Herausbildung fest gefügter, straff organisierter „Massenparteien“ notwendig. Damals bildeten sich jene drei politischen „Lager“ heraus, welche die innenpolitische Landschaft Österreichs in weiterer Folge prägen sollten: Sozialdemokraten, Christlichsoziale (die 1907 mit den Katholisch-Konservativen verschmolzen) und Deutschnationale (welchen die Bildung einer einheitlichen politischen Partei, der Großdeutschen Volkspartei, erst 1919 gelang). Insbesondere Sozialdemokraten und Christlichsoziale fanden ihre Anhänger in der neuen allgemeinen Wählerklasse, konnten mit einer ihrer wahren Bedeutung entsprechenden Stärke aber erst ins Parlament einziehen, als das allgemeine Männerwahlrecht auch ein gleiches geworden war, nämlich 1907. Die nach dem Ministerpräsidenten Max Wladimir von Beck so genannte Becksche Wahlrechtsreform 1907 (die im internationalen Vergleich als durchaus fortschrittlich anzusehen war) machte das Abgeordnetenhaus endlich zu einer „Volksvertretung“ im Vollsinn, den das Wort damals haben konnte, indem sie die Prinzipien des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts allerdings nur der Männer verwirklichte (Die wenigen Frauen, die das Wahlrecht in der Großgrundbesitzerkurie besessen hatten, verloren es durch die Reform!).

Frauenwahlrecht

Unsere Partei wollte das Frauenwahlrecht. Eine Forderung, die 1907 aussichtslos war. So sagte Victor Adler während einer Debatte im Abgeordnetenhaus:

„Aber selbstverständlich ist für uns, dass das allgemeine Wahlrecht solange nicht erreicht ist, solange der Hälfte der Bürger – und die Frauen sind Bürger, die ebenso die Lasten tragen, und schwerere Lasten als die Männer – nicht ihr Recht gegeben ist.“ Victor Adler konnte seine politischen Ideen ab 1905 im Parlament vertreten, denn nach acht Jahren im Hohen Haus hatte der Gewerkschafter Josef Hannich den für die Sozialdemokraten sicheren nordböhmischen Wahlkreis Reichenberg (heute Liberec) für Adler freigemacht, der somit noch nach dem alten Kurienwahlrecht ins Hohe Haus einzog. Die notwendig gewordene Nachwahl fand am 18. Oktober 1905 statt (Adler erhielt 30.096 Stimmen, der deutschnationale Kandidat 13.881, der christlichsoziale 4.860). Angelobt wurde Victor Adler am 28. November 1905. 1907 siegte er in den allgemeinen Wahlen eindrucksvoll und vertrat von nun an Favoriten im Reichsrat.

Die Demokratie ist ein kostbares Gut, das von unseren Vorfahren erkämpft wurde, wir aktiven AntifaschistInnen schützen sie heute vor den Angriffen von Extremisten außerhalb und innerhalb des Parlaments!

Anton Bergauer

Webtipp: http://www.parlament.gv.at/WWER/PARL/J1848/ informiert über Kurzbiografien der Mitglieder von Abgeordnetenhaus und Herrenhaus (1861-1918)

Foto: 1897 Reichsrat.jpg Credits: Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung

Fototext: Die vierzehn 1897 ins Abgeordnetenhaus gewählten Genossen

Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 4/2022“ http://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2022/12/FK_2022_04_WEB.pdf

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