Im Sommer 2022 erschien ein neues Buch von Anton Pelinka. Der Verlagstext beschreibt es wie folgt: „Benito Mussolini, Adolf Hitler, Engelbert Dollfuß, Francisco Franco, die Militärdiktatoren Japans, Ante Pavelić, Ion Antonescu, António Salazar und andere galten als Faschisten. Waren sie alle Proponenten desselben Faschismus – oder ist der Begriff zu einem mitunter falsch verwendeten Etikett verkommen? Die faschistische Herrschaft in Italien begründete ein politisches Modell, das für Europa bis 1945 – und darüber hinaus – prägend war. Aber war Faschismus gleich Faschismus? Der absolute Totalitarismus des Nationalsozialismus unterschied sich von der autoritären Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur. Wenn einerseits die militärische Expansionspolitik der ‚Achsenmächte‘ Deutschland, Italien und Japan ein zentrales Merkmal des Faschismus war, können Dollfuß und Franco dann als Faschisten gelten? Wenn andererseits die Unterdrückung universeller Grundrechte den Wesenskern des Faschismus darstellt, was unterscheidet ihn von anderen repressiven Systemen wie den Diktaturen Stalins und Maos? Und was bedeutet es, wenn im 21. Jahrhundert Trump und Putin unter Faschismusverdacht geraten? Anton Pelinka dekonstruiert den Begriff anhand historischer Beispiele und geht der Frage nach, ob es eine allgemeine Faschismusneigung gibt, die immer wieder politische Beben und weltweite Katastrophen auslösen kann.“
Der Untergang der (jungen) Demokratie in Italien, Deutschland, Österreich und Spanien war nicht nur der Zerstörungskraft der Faschismen, sondern auch der Schwäche der Demokratie geschuldet. Die Bedrohung der Demokratie durch aktuelle Formen des Faschismus war real, ist weiterhin real und wird immer real bleiben. – Dieser Bedrohung muss widerstanden werden, soll die Zukunft der Demokratie gesichert werden. Aber: Alles, was sich antifaschistisch nennt, ist nicht notgedrungen demokratisch.
Im ersten Kapitel setzt sich Anton Pelinka mit der Begrifflichkeit von Faschismus auseinander. Den Ländern Italien, Deutschland, Österreich, Japan und Spanien sind jeweils eigene Kapitel gewidmet, wobei besonders jenes über Japan interessant ist, weil dessen Geschichte im Detail weniger bekannt ist.
Auf den 35 Seiten über Österreich kommt der Autor zum Schluss, dass der Begriff „Austrofaschismus“ seine Richtigkeit hat. Wobei: Oft schwächt Pelinka ab, er schreibt vom „Halb-Faschismus“. Während in Italien und in Deutschland die Faschisten an die Macht kamen, war der Faschismus à la Österreich eine Diktatur derer, die schon an der Macht waren. Weiters: „Mussolini musste die katholische Kirche gewinnen, Hitler sie ruhigstellen. Dollfuß konnte sicher sein, dass er im Namen der Kirche, der österreichischen Bischöfe und auch des Vatikans agierte.“ Das war die Parallele zu Spanien und Portugal. Bundespräsident Wilhelm Miklas war CVer und trug den Kurs von Dollfuß und von Schuschnigg mit. Nach Dollfuß‘ Tod wurde Starhemberg Frontführer der V. F., Schuschnigg Bundeskanzler. An die Stelle der Dominanz EINER Person (Dollfuß, Anm.) war eine koalitionsähnliche Machtteilung getreten (im Juli 1936 übernahm Schuschnigg dann auch die Funktion des Frontführers und stellte Starhemberg kalt). Ein Spezifikum: Von 1.10.-31.12.1936 fanden in den Betrieben Vertrauensmännerwahlen statt, etwa zwei Drittel der Gewählten kamen aus den Reihen der seit Februar 1934 illegalen Freien Gewerkschaften. Diese Wahlen waren laut Anton Pelinka die einzige politische Beteiligung 1933-1938 die den Kriterien von freien und fairen Wahlen entsprach. Pelinka bleibt weitgehend die Antwort schuldig, woraus denn die ANDERE, die nicht-faschistische Hälfte des Austrofaschismus bestand, wenn dieser (nur) ein „Halb-Faschismus“ war?
Das Kapitel über Spanien ist ebenfalls interessant. Auf 25 Seiten ist es eine prägnante Darstellung von Spaniens Innen- und Außenpolitik von 1936-1981. Zu Beginn des Bürgerkriegs war Franco von Mussolini und Hitler abhängig, danach (also nach 1939) war er unabhängig und ließ sich nicht zum Kriegseintritt zwingen, anders als die Satellitenstaaten Slowakei, Kroatien und Ungarn. Bis zu Francos Tod hielt sich die Diktatur.
Das vorletzte Kapitel heißt „Antifaschismus: Die Banalität des Guten“. Eine provozierende Formulierung! Pelinka ist zuzustimmen, wenn er meint „ein nicht banaler Antifaschismus ist nicht nur einer der Gefühle, er ist vor allem ein Antifaschismus des Verstandes.“ Resümee: Ein wertvolles, gut lesbares Buch.
Gerald Netzl

Anton Pelinka: Faschismus?, Böhlau, Wien 2022, ISBN 978-3-205-21584-4, 273 Seiten, € 35,00
Illustration: Faschismus_Pelinka.jpg
Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 4/2022“ http://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2022/12/FK_2022_04_WEB.pdf