15. April 2023: Gründung des Republikanischen Schutzbunds vor 100 Jahren

Das Ende des Ersten Weltkriegs brachte nicht nur einen Wechsel der Staatsform von der Monarchie zur Republik, es fand vor allem eine veritable Machtverschiebung im Staat statt. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die einzige Partei mit klaren Vorstellungen und politischen Zielen, entschloss sich, verlässliche, republikanisch gesinnte Elemente der sich auflösenden k. u. k. Armee zur „Volkswehr“ zusammenzufassen. Die Volkswehr sollte nach den Plänen der Partei sowohl eine revolutionäre Entwicklung, wie in Russland, als auch eine konterrevolutionäre, reaktionäre Entwicklung verhindern. Für die Konservativen in Österreich trug die Armee der Republik den Makel einer revolutionären Einrichtung. Mit dem Friedensvertrag von St. Germain-en-Laye musste Österreich sein Heer verkleinern. Als 1920 die Koalition aus Sozialdemokraten und Christlichsozialen zerbrach, begann sehr bald eine als „Entpolitisierung“ bezeichnete Umpolung des neuen Bundesheeres, seiner Soldaten und Offiziere, von republikanisch-sozialdemokratisch auf antirepublikanisch-konservativ.

Schon bald nach dem Ersten Weltkrieg entstanden in mehreren österreichischen Bundesländern paramilitärische Formationen, die zunächst als Ortswehren, Bürgergarden, Kameradschafts-, Frontkämpfer- und überparteiliche Selbstschutzverbände vor allem im Abwehrkampf an den Staatsgrenzen (Kärnten, Steiermark, Burgenland) auftraten. Diese Verbände wurden zu „Heimwehren“ zusammengefasst, die im Verlauf der 1920er Jahre zunehmend die Arbeiterbewegung als (innenpolitischen) Hauptgegner definierten. Daneben bestanden in den Industriegebieten in der Umbruchzeit bewaffnete Arbeiter- und Fabrikswehren.

Die innenpolitischen Machtverhältnisse hatten sich schon Anfang der 1920er Jahre gedreht, die Sozialdemokratie verlor ihre dominante Position, nun war ihr Ziel, zumindest das Gleichgewicht der Klassenkräfte zu halten. Im November 1922 fand in Wiener Neustadt eine Konferenz zum Thema „Die Wehrhaftmachung des Proletariats“ statt, an der Vertreter der Partei, der Arbeitersportorganisationen, der Sozialistischen Arbeiterjugend und der Kinderfreunde teilnahmen. Die Gründung des „Republikanischen Schutzbunds“ war der konsequente nächste Schritt, hatte allerdings eine tragische Vorgeschichte:

Der damals 44-jährige Franz Birnecker war Betriebsrat im Gummiwerk Semperit in Wien-Baumgarten, damals Hietzing, heute Penzing. Seit seinem 19. Lebensjahr war Birnecker Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, dazu war er Mitglied des Vorstands der Chemiearbeitergewerkschaft. Am Abend des 17. Februar 1923 leitete er eine Versammlung seiner Ortsgruppe. In einem nebenan gelegenen Gasthaus fand zeitgleich die konstituierende Sitzung einer Ortsgruppe der „Partei der österreichischen Monarchisten“ statt, als Saalschutz fungierten Mitglieder der rechtsextremen Vereinigung „Ostara“. Die Monarchisten fürchteten eine Sprengung ihrer Veranstaltung durch die Gewerkschafter und beendeten sie. Auf dem Heimweg kam es zu einem Tumult bei dem Franz Birnecker erschossen und zwei weitere Arbeiter verletzt wurden. Heute erinnern ein Denkmal am Baumgartner Friedhof und die Birneckergasse in der Nähe des Donauturms an ihn.

Unter dem Eindruck dieses Ereignisses wurde schon am 19. Februar 1923 in Wien der „Republikanische Schutzbund“ konstituiert, die Zulassung durch das Innenministerium erfolgte am 12. April 1923, womit eine bundesweite Entfaltung ermöglicht wurde.

Zunächst als Ordner- und Schutzorganisation für sozialdemokratische Veranstaltungen gedacht, trat die Verteidigung der Republik und ihrer Errungenschaften immer mehr in den Vordergrund der Aufgaben und Ziele des Schutzbunds. In den ersten fünfeinhalb Jahren seines Bestehens hatte der Schutzbund einen eher vereinsmäßigen als streng militärischen Charakter.

Der Republikanische Schutzbund war, ebenso wie die Heimwehren, einheitlich uniformiert, in Kompanien, Bataillone und Regimenter gegliedert und relativ gut mit Infanteriewaffen ausgerüstet. Der Zentralleitung, deren Sitz sich in Wien befand, gehörten neben Julius Deutsch auch Alexander Eifler und Theodor Körner an; in jedem Bundesland gab es darüber hinaus eine eigene Leitung.

Die Ereignisse des 15. Juli 1927 in Wien, der Brand des Justizpalastes mit 89 Toten, über 600 schwer und mehr als 1.000 leicht Verletzten, waren DIE Zäsur der Innenpolitik in Österreich und brachten auch eine Zäsur für den Republikanischen Schutzbund. Der sozialdemokratische Parteivorstand hielt fest: „Es darf in Zukunft nicht mehr kleinen Gruppen erlaubt sein, die ganze Arbeiterklasse in Kämpfe zu ungünstigen Bedingungen zu verwickeln. Strengste proletarische Disziplin ist notwendiger denn je.“

Seine größte Stärke erreichte der Schutzbund im Jahr 1928 mit etwa 80.000 Mitgliedern, vor allem in Wien, der Steiermark sowie in den Industriegebieten Nieder- und Oberösterreichs. Mit Beginn der 1930er Jahre verlor der Republikanische Schutzbund nicht zuletzt durch die negativen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf das Proletariat und seine Organisationen zusehends an Schlagkraft. Die Regierung Dollfuß sah in ihm dennoch ein Hindernis auf ihrem Weg zum autoritären Ständestaat und löste ihn per 30./31. März 1933 auf. Die Organisation blieb jedoch in der Illegalität, in der sie ca. ein Drittel ihrer Mitglieder verlor, bestehen und begann am 12. Februar 1934 in Linz den – allerdings bereits aussichtlosen – Kampf gegen eine zum Äußersten entschlossene Regierung, die sich auf das Bundesheer, die Polizei und die Heimwehren stützen konnte. Der ausbleibende Generalstreik war mitentscheidend, dass der Aufstand erfolglos blieb. Das ständige Zurückweichen der Parteiführung vor dem Februar 1934 hatte zwei gegensätzliche Wirkungen: steigende Ungeduld der Schutzbündler und zunehmende Apathie der Massen. 1934 waren die letzten kriegsgedienten Soldaten alle über 35 Jahre alt, d. h. fast alle 18- bis 35-Jährigen hatten mangels Wehrpflicht keine militärische Ausbildung. Das konnte durch Arbeitersportvereine und Schützenvereine nicht wettgemacht werden

Warum der Schutzbund nicht früher, als die Kampfbedingungen für die Arbeiterbewegung weit günstiger gewesen sind, in die Konfrontation gegangen ist? Am 10. März 1933 sprach Otto Bauer vor Vertrauensmännern: „Wir wissen: wenn es zur Entscheidungsschlacht kommt, wird dies Opfer kosten, die wir vor den Müttern dieses Landes nur verantworten können, wenn wir vorher alles getan haben, um eine friedliche Lösung auf demokratischer Grundlage möglich zu machen … sollte unser Gegner es anders wollen, sollte er unsere Friedensbereitschaft verschmähen, dann soll er wissen, dass wir zu allem bereit sind, wirklich zu allem.“

Unser Bund bekämpft die „politischen Gefahren, die von Erscheinungen wie Neofaschismus, Rechtsextremismus, Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus ausgehen, und Organisationen, die diese Positionen vertreten“ (§2 1. des Statuts). Wir Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen verstehen uns als die ErbInnen der Schutzbündler. Gemeinsam mit der SPÖ bewahren wir dem Republikanischen Schutzbund ein ehrendes Andenken.

Gerald Netzl

Illustration: RESCH_Liesing1.jpg und RESCH_Liesing2.jpg

Die komplette aktuelle Ausgabe findet sich unter: http://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2023/03/FSW-01-02-03-Version-FINAL-WEB.pdf

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: