3. Februar 2023: 100. Geburtstag Herbert Steiner

Vor hundert Jahren, am 3. Februar 1923, kam in Wien Herbert Steiner zur Welt. Sein Name ist untrennbar mit der Gründung und den ersten zwanzig Jahren des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW) 1963 verbunden.

Vater Heinrich war Mitglied der SDAP und des Schutzbunds, weshalb der junge Herbert bei den Kinderfreunden und Roten Falken am Alsergrund groß wurde. 1937, kaum vierzehnjährig, wechselte er zum illegalen KJV und blieb sein Leben lang Kommunist, wenngleich kein Hardliner, sondern einer, der sein Leben lang Brücken zur Sozialdemokratie und zur ÖVP baute. Nach dem „Anschluss“ unterlag die Familie Steiner den Nürnberger Rassegesetzen. Herbert war doppelt bedroht. Von einem Schulkollegen, einem Nazi-Anhänger, gewarnt, dass die Verhaftung droht, entschloss er sich im Dezember 1938 zur Flucht, die ihn via Holland nach Großbritannien führte. Die Eltern Valerie und Heinrich konnten nicht ausreisen und wurden von den Nazis in der Shoa umgebracht. In der Grundlgasse 5 erinnert ein Stein der Erinnerung an sie.

England

Die ersten zwei Monate verbrachte Steiner in einem Lager für minderjährige Flüchtlinge. Er konnte eine Lehre als Schriftsetzer antreten und durfte zu einer Gastfamilie übersiedeln. Rasch entfaltete er eine intensive politische und kulturelle Tätigkeit in der Organisation „Young Austria“. „Young Austria“ wollte den elternlos geflohenen (überwiegend jüdischen) Mädchen und Buben Gemeinschaft und Heimat sein. Formal war man überparteilich, alle führenden Positionen waren aber kommunistisch besetzt. Ein Schema, das auch nach der Befreiung 1945 bei der Freien Österreichischen Jugend (FÖJ) angewandt wurde. Etwa 30.000 ÖsterreicherInnen konnten / mussten ins britische Exil fliehen, „Young Austria“ hatte 1942 mehr als 1.000 Mitglieder, u. v. a. der Dichter Erich Fried – wie der Historiker Eric Hobsbawm ein lebenslanger Freund von Herbert Steiner. Für FunktionärInnen wurde ein eigener Lehrgang durchgeführt, in dem sie für die verbandliche Jugendarbeit nach der Rückkehr ins befreite Österreich geschult wurden („Reeducation“) – Herbert Steiner zählte zu den Ersten.

Nachkriegsösterreich

Herbert Steiner wurde hauptamtlicher Sekretär der FÖJ. Diese war bis zu ihrem Ausschluss Mitglied des Jugendherbergsverbands. Dort lernte er den Sekretär der Gewerkschaftsjugend Alfred Ströer, von 1995-2007 Vorsitzender unseres Bundes, kennen. Der Antifaschismus war das einigende Band zwischen den beiden, eine lebenslange Freundschaft über Parteigrenzen hinweg entstand. 1953 wurde Steiner Bezirkssekretär der KPÖ in Meidling. Das blieb er bis 1959 und war danach Angestellter des KPÖ-eigenen Globus-Verlag. An der Prager Karls-Universität absolvierte er ein Fernstudium der Geschichte. Seine Dissertation „Die Arbeiterbewegung Österreichs 1867-1889“ behandelt eines seiner drei „Lebensthemen“. „Widerstand und Verfolgung“ sowie „Exil“ waren die beiden anderen. Im Gedenkjahr 1963 („25 Jahre ‚Anschluss‘“) gelang schließlich die Gründung des überparteilichen DÖW. Das war in den 1960er Jahren, einer Hochphase des Kalten Krieges, ein großes Werk. Gleichzeitig hätte eine KP-Vereinnahmung sehr schnell dessen Ende bedeutet. VertreterInnen unseres Bundes, des KZ-Verbands und der ÖVP-Kameradschaft arbeiteten solidarisch zusammen. Noch in den 1960er Jahren entstanden erste wertvolle Bücher wie „Zum Tode verurteilt. Österreicher gegen Hitler“ (1964) und „Gestorben für Österreich. Widerstand gegen Hitler“ (1968) mit letzten Briefen hingerichteter WiderstandskämpferInnen. Ebenso Pionierarbeiten wie „Die Judenverfolgung in Österreich 1938-1945“ von Jonny Moser, „Österreichs Zigeuner im NS-Staat“ von Selma Steinmetz und „Frauen und Mädchen im österreichischen Widerstand“ von Tilly Spiegel. 1973 veröffentlichte Herbert Steiner seine umfassende Biografie über Käthe Leichter, eine der bedeutendsten Frauen in der Ersten Republik. 1970 begannen die Forschungen zu Widerstand und Verfolgung 1934-1945 in den einzelnen Bundesländern. Die wissenschaftliche Leitung hatte Wolfgang Neugebauer, der Steiner 1983 als Leiter des DÖW nachfolgen sollte. Mitte der 1970er fing das DÖW an rechtsextremistische Publikationen und Material zu sammeln, Ergebnis war 1979 das 600 Seiten-Werk „Rechtsextremismus in Österreich“.

1964 war Herbert Steiner an der Gründung der Internationalen Tagung der HistorikerInnen der Arbeiterbewegung (ITH) beteiligt, einem Konferenzformat, das bis heute existiert (jetzt unter dem Namen International Conference of Labour and Social History). Es diente dem wissenschaftlichen Austausch zwischen West- und Osteuropa zur Erforschung der internationalen ArbeiterInnenbewegung. Herbert Steiner fungierte auch als Gründer und Präsident der Jura Soyfer-Gesellschaft, für dessen Werk er sich schon im britischen Exil eingesetzt hat. In allen seinen Interessens- und Tätigkeitsfeldern war Steiner als umtriebiger Organisator, Netzwerker und vor allem auch Förderer von jungen KollegInnen geschätzt. Bei all seinem Engagement blieb oft wenig Zeit für die Familie, seine Frau Rella und die beiden Kinder Hans und Vally. Herbert Steiner verstarb am 26. Mai 2001 in Wien. Er bleibt unvergessen.

Gerald Netzl

Foto: Herbert Steiner.jpg Credits: DÖW

Fototext: Herbert Steiner im Oktober 1982 bei einer Ordensverleihung in der ungarischen Botschaft in Wien

Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 4/2022“ http://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2022/12/FK_2022_04_WEB.pdf

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