Normalerweise werden hier neu erschienene Bücher besprochen. Ab und zu stellen wir ältere Publikationen vor, schlicht, weil wir das Buch gerade erst entdeckt haben. Wie dieses über die „wichtigste Nebensache der Welt“.
Der Wiener Fußball zählte in der Zwischenkriegszeit zum Besten das der Kontinent zu bieten hatte. Man maß sich mit Budapest, Prag, Paris und Bologna. Nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich sollte das von den neuen Herren geändert werden und die fußballerischen Beziehungen aufs „Altreich“ ausgerichtet werden. Die Rolle der großen Wiener Vereine (der Spitzenfußball im Land war auf Wien beschränkt) im Nationalsozialismus wurde lange Zeit nicht aufgearbeitet und lehnte sich an die Erzählung von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus an. Man schuf und strapazierte Opferlegenden, Schutzbehauptungen und Widerstandsmythen. Zwei Jahrzehnte an Forschung und Kontroverse haben die österreichische Erinnerungskultur mittlerweile doch deutlich verändert.
Der bereits 2014 erschienene Sammelband „Fußball unterm Hakenkreuz in der ‚Ostmark‘“ enthält 21 prägnante Beiträge. Es werden die Geschichten von einzelnen Klubs nachgezeichnet: Von den großen Wiener Vier Austria, Rapid, Vienna und – man lese und staune – Admira bis zur Fußballgeschichte der „Provinz“ (Reichsgaue). Siege wie Rapids 4:3 im Meisterschaftsendspiel am 22. Juni 1941 gegen Schalke 04 verklärte man lange gerne zu einem Triumph Österreichs. Weniger bekannt hingegen sind die Ausschreitungen in Kopenhagen im gleichen Jahr. Dort stießen sich dänische Fans an der NS-Symbolik, die Austria, Admira und deutsche Zuschauer zur Schau trugen.
Natürlich behandelt ein Buch wie das vorliegende jüdische Schicksale. Schicksale von Vereinen (SC Hakoah, Meister 1925), Spielern, Funktionären und sogar Schiedsrichtern werden analysiert und beschrieben. Trotz ihrer Leistungen für den österreichischen Fußball überließen ihre angeblich so unpolitischen Klubs sie ab 1938 meist ihrem Schicksal. Vielen gelang die Emigration, einige wurden im KZ oder den Todesfabriken im Osten umgebracht. Die Autoren des Bandes zeigen, dass es durchaus auch aufrichtige Opposition und nicht gerade wenig vorauseilenden Gehorsam gab. So wurde Ernst Kaltenbrunner Ehrenpräsident der kurzzeitig in „SC Ostmark“ umbenannten Wiener Austria, der Wiener Polizeipräsident Otto Steinhäusl Rapid-Ehrenmitglied. Mit der Legende des „unschuldigen“ Kaffeehaus-Ariseurs Matthias Sindelar wird aufgeräumt, Rapid-Legende Josef Urildil war ein Illegaler erfährt man.
Man liest, dass die Gewinne der „Gaumeisterschaften“ 1938-1944 bis heute von den Vereinen in ihren Erfolgsbilanzen ebenso mitgezählt werden wie der Gewinn des deutschen Pokals („Tschammer-Pokal“: Rapid 1939, Vienna 1943). Die Nazis beendeten den Professionalismus im Fußball zugunsten eines (Schein-)Amateurismus, der „von oben“ geduldet wurde. Der Nachwuchsfußball wurde zur Gänze der HJ übertragen, die Jugendteams der großen Vereine umgingen das aber, indem sie unter dem Titel des „HJ-Banns“ trainierten und spielten. Die Nazis versuchten die Konzentration des Fußballsports auf Wien aufzubrechen. Der neu geschaffenen „Gauliga Ostmark“ gehörten sechs Wiener Vereine sowie die Meister von Steiermark, Oberdonau + Salzburg, Niederdonau sowie der Meister der (zweitklassigen) Wiener Liga an. Der Versuch scheiterte kolossal. Irritierend: Ende 1943 trat erstmals die SS-Mauthausen mit zwei sog. „Spielgemeinschaften“ auf. An der südlichen Außenmauer des Konzentrationslagers trug man Meisterschaftsspiele aus und wurde 1944 sogar Herbstmeister von Oberdonau. Die Kapitel über den Fußball in der Steiermark, Oberösterreich („Oberdonau“), Vorarlberg und Salzburg gehören mit zum Interessantesten im großartigen Buch.
Der sehr lesenswerte Sammelband zieht eine erste kritische Zwischenbilanz zum Forschungsstand und ist für alle, die sich mit österreichischer Fußballgeschichte beschäftigen, eine reiche Fundgrube. Allein schon aufgrund der einzelnen Beiträge, vertiefend aber wegen der vielen Quellen und Literaturverweise.
Gerald Netzl
David Forster, Jakob Rosenberg, Georg Spitaler: Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“, Die Werkstatt, Göttingen 2014, ISBN 978-3-7307-0088-4, 352 Seiten, € 29,90
Illustration: Cover Fußball Hakenkreuz.jpg

Der in Göttingen beheimatete Verlag Die Werkstatt hat schwerpunktmäßig Publikationen zum Themenkomplex Fußball in seinem Programm, darunter viele mit kritisch-zeitgeschichtlichem Inhalt. Anschaue lohnt: http://www.werkstatt-verlag.de
Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 4/2022“ http://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2022/12/FK_2022_04_WEB.pdf