Kamerad Peter Grusch vom KZ-Verband, Sammler von ArbeiterInnenliedern und ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet, hat uns diesen Artikel zur Verfügung gestellt. Die Lieder kann man z. B. auch im Internet anhören.
In den Konzentrationslagern der Nazis bildete Musik von Anfang an einen festen Bestandteil des Lagerlebens. Von der SS wurde sie gezielt als Entwürdigungs- und Disziplinierungsstrategie eingesetzt. Zu dieser auf Befehl verordneten Musik zählte vor allem das Singen-Müssen. Als alltägliche Schikane sollte es die Häftlinge beim Marschieren, Exerzieren oder bei Strafaktionen verspotten und demütigen. Wenn ein
Häftling nach einem erfolglosen Fluchtversuch zurück in das Lager gebracht wurde, musste die Kapelle häufig „Alle Vögel sind schon da“ spielen. Diese Musikkapellen,
gebildet aus Häftlingen, gaben nicht nur Konzerte für die SS und manchmal auch für ihre Mithäftlinge, sondern wurden bei „Besichtigungen“ durch höhere SS-Offiziere, Wehrwirtschaftsführer oder das Rote Kreuz als besondere Attraktion vorgeführt.
Dass in den Lagern vor allem die politischen Häftlinge es wagten ihr eigenes, illegales kulturelles Leben zu schaffen und selbstbestimmt für sich und ihre Mithäftlinge
zu musizieren zeugt von einer hohen Moral. Sima Skorkowicz, eine Überlebende des Ghettos in Wilna, bringt aus auf dem Punkt: „Das Lied als solches war eine der größten Ermutigungen und Unterstützungen für den Menschen und sein Denken. Es leistete einen gewaltigen Beitrag, um weiterhin wie ein Mensch leben zu können.“ Der Wirkungskreis war durch die ständige Gefahr natürlich begrenzt und viele kulturelle Aktivitäten fanden nur in den Lagerbaracken statt. Gesungen wurde alles Mögliche. Es gab eigene Lagerlieder, aber es wurden auch Volks- und Landsknechtslieder gesungen. Häufig wurden auch Freiheitslieder aus der Revolution 1848 und heimlich traditionelle
Arbeiterlieder gesungen.
In einigen der Lager konnten, mit Genehmigung bzw. Duldung der SS, größere Veranstaltungen durchgeführt werden. Eine der ersten fand am 27. August 1933 unter dem Titel „Zirkus Konzentrazani“ im KZ Börgermoor statt. Die Veranstaltung endete mit der Uraufführung des MOORSOLDATEN-LIEDES. Es ist das wahrscheinlich bekannteste KZ-Lied. Durch einen entlassenen Häftling gelangte es ins Ausland,
wo es 1935 von Hanns Eisler bearbeitet wurde.
Vereinzelt wurden auch Lieder der Nazis, aber mit anderen Texten, gesungen. Heinz Hentschke (Häftling im KZ Aschendorfer Moor II) sagt dazu: „Es widerte uns an, immer wieder die verhassten Nazilieder zu singen. Da sagten wir uns: Wenn wir schon die Lieder singen müssen, machen wir uns wenigstens unsere eigenen Worte dazu. Umso wirkungsvoller können wir unsere Lieder tarnen“. Im KZ Sachsenhausen gab es die „Schallerabende“. Da wurden von den Häftlingen angeblich die von der SS immer wieder verlangten Marschlieder geübt. Dabei wurde auch das im 1936/37 entstandene
„Sachsenhausenlied“ erstmals gesungen. In Sachsenhausen entstand zwischen 1940 und
1943 auch ein wahrscheinlich einzigartiges Dokument: Das „Sachsenhausen-Liederbuch“.
Auch in anderen Lagern gab es verschiedene Veranstaltungen. Aus dem KZ Westerbork in den Niederlanden sind mindestens vier Kabarettprogramme bekannt. Text und Musik: Willy Rosen.
Einige bekannte Lieder wurden von Österreichern getextet und komponiert. Das
„Buchenwaldlied“ wurde vom damaligen Lagerkommandant mit den Worten: „Macht‘s ein eigenes Lagerlied! 10 Mark für‘s beste – aber was Zünftiges.“ verlangt.
Fritz Beda-Löhner, der Librettist von Lehár, schrieb den Text und Hermann Leopoldi die Musik.
Beim „Dachaulied“ stammen die Worte von Jura Soyfer und die Melodie von Herbert Zipper. Das Lied wurde kurz darauf von Marcel Rubin im KZ Damigny neu vertont. Viel Musik stammt aus dem KZ Theresienstadt. Am bekanntesten ist „Brundibär“.
Auch aus den Ghettos gibt es Lieder. Zwei Lieder aus dem Ghetto von Wilna. „Tsu eyns,
tsvey, dray/Und eins, zwei, drei“ wurde die Hymne der litauischen, jüdischen Partisanen. Bekannter ist sicher „Sog nit kejnmol/Sag niemals…“ Es gibt hunderte Lieder aus KZs und Ghettos. Ich kann aus Platzgründen nur einige erwähnen.
Empfehlung: Fackler Guido: „Des Lagers Stimme“ Musik im KZ (vergriffen), „O bittre Zeit“; 3 CDs, KZ-Musik 24 CDs. Bei Interesse: peter.grusch@gmx.at
Peter Grusch
18. August 2021: Lieder aus den Konzentrationslagern
