21. April 2024: Aktive Gedenkarbeit: Erinnerung an die jüdische Flucht von 1947

Die Jahreszahl 1947 löst im Zusammenhang mit jüdischer Flucht aus Österreich stets Erstaunen aus – war zu diesem Zeitpunkt nicht die nationalsozialistische Herrschaft bereits seit zwei Jahren überwunden? Eine historische Spurensuche von Robert Obermair.

Auch wenn das nationalsozialistische „Deutsche Reich“ Dank der alliierten Intervention 1945 zerschlagen worden war, waren damit nicht von einem Tag auf den anderen Kernelemente der NS-Ideologie verschwunden. So waren in weiten Teilen Europas antisemitische Einstellungen nach wie vor dermaßen verbreitet, dass viele Jüdinnen und Juden ihre Zukunft außerhalb des Kontinents sahen. Gerade in osteuropäischen Gebieten fühlten sich viele jüdische Überlebende des NS-Terrors auch nach der Befreiung nicht sicher. Etwa eine Viertelmillion Menschen dieser Region verließen in den ersten drei Jahren nach 1945 ihre Heimatländer in Richtung der westlichen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs.

Viele von ihnen gelangten auf diese Weise nach Österreich und hier insbesondere nach Salzburg, das eine zentrale Drehscheibe für die jüdische Flucht bildete. So befanden sich nicht nur in der Stadt Salzburg mehrere Lager für jüdische Displaced Persons (DPs), sondern auch in anderen Teilen des Bundeslands. Zunächst konnten viele der Ausreisewilligen von Salzburg aus über Tirol zu den italienischen Häfen gelangen, doch diese Route wurde bald weitgehend unpassierbar, da die britische Kolonialmacht eine weitere Einreise jüdischer Menschen nach Palästina verhindern wollte.

Als Alternative wurde im Jahr 1947 durch die jüdische Fluchthilfeorganisation „Bricha“ (= hebr. „Flucht“) eine neue Fluchtroute über den wenige Kilometer langen Grenzstreifen im Hochgebirge zwischen Salzburg und Italien erschlossen. Da im Folgejahr der Staat Israel gegründet und damit eine legale Einreise in die Region immer einfacher wurde, verlor die Route über den Krimmler Tauern bald wieder an Bedeutung. Nichtsdestoweniger hatten tausende Jüdinnen und Juden so einen Weg in eine neue Zukunft gefunden und waren der antisemitischen Nachkriegsgesellschaft Europas entkommen.

Die Erinnerung an diese Fluchtbewegung verblasste binnen kürzester Zeit. Erst in den 1990ern begannen erste Bestrebungen, dieses historische Ereignis wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Seit 2007 wird durch die Initiative „Alpine Peace Crossing“ jährlich mit einem Dialogforum und einer Gedenkwanderung entlang der historischen Fluchtroute an die Flucht von 1947 erinnert. Über die Jahre hat der Verein enge Kontakte zu ZeitzeugInnen und deren NachfahrInnen aufgebaut und auf diese Weise etwa gegenseitige Besuche in Israel und Österreich organisiert. Auch LehrerInnen und SchülerInnen ebenso wie Asylwerbende wurden und werden immer wieder in Gedenkprojekte und -veranstaltungen eingebunden. Schrittweise gelang es dabei auch, sowohl die Lokalpolitik und den Nationalpark Hohe Tauern als auch das österreichische Bundesheer, das heute eine Kaserne am Gelände eines ehemaligen DP-Lagers in Saalfelden unterhält, in die Gedenkprojekte miteinzubinden. 2024 werden die Gedenkveranstaltungen am 29. und 30. Juni stattfinden, die Anmeldung ist über die Vereinshomepage möglich.

Auch darüber hinaus ist der hinter dieser Initiative stehende Verein für aktive Gedenk- und Erinnerungskultur darum bemüht, eine regionale Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte und insbesondere der Zeit des Nationalsozialismus und dessen (Nicht-)Aufarbeitung zu initiieren. So erscheint etwa seit 2020 die vereinseigene Zeitschrift „Alpendistel. Magazin für antifaschistische Gedenkkultur“. Mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen wird dabei versucht, zeitgeschichtliche Themen für ein breites Publikum aufzubereiten. 2024 liegt der Schwerpunkt auf dem Thema „Versäumtes Erinnern. Österreich und der Austrofaschismus“. Die Zeitschrift kann gegen eine Portogebühr ebenfalls über die Website des Vereins bestellt werden.

Daneben engagieren sich die AktivistInnen des Vereins für dauerhafte Erinnerungszeichen an die Flucht von 1947. So konnten bislang acht übermannshohe Gedenkpyramiden entlang der Fluchtroute errichtet und auch vor der Kaserne in Saalfelden ein Gedenkort etabliert werden. Damit wird nun – über 75 Jahre nach der Flucht – eine kontinuierliche und aktive Erinnerungsarbeit rund um das Thema realisiert, die den Geflüchteten von 1947 und ihren Angehörigen eine lokalisierbare Erinnerung ermöglicht und die historischen Geschehnisse für Interessierte aus der ganzen Welt niederschwellig zugänglich macht.

Web-Tipp: http://www.alpinepeacecrossing.org

Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 1_2_3_2024“
Hier geht es zur gesamten Ausgabe

Foto Alpine Peace Crossing.png Credit: APC/Sammlung Dov Protter

Fototext: Eine Gruppe jüdischer Flüchtender vor dem Krimmler Tauernhaus.

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