27. Juli 2024: Berg frei – Mensch frei – Welt frei

Naturfreunde im Widerstand (Teil 1)

Die Rolle von NaturfreundInnen im Widerstand gegen Austrofaschismus und Nationalsozialismus wurde bisher kaum beleuchtet. In einem zweiteiligen Artikel werden daher Motivation und insbesondere im zweiten Teil die konkreten Widerstandsmaßnahmen durch NaturfreundInnen skizziert.

„Der Verein Naturfreunde entsprang der tiefen Sehnsucht der in den grauen Häuserschluchten der Industriestädte freudlos eingepferchten Menschen nach Freiheit, Licht und Sonne, Bergen und Tälern, Wäldern und Seen und damit nach seelischer Erhebung am Gesundbrunnen der Natur. Freilich mußten sich die Pioniere dieser ungemein verdienstvollen Bewegung in jener Zeit, da es noch keinen Achtstundentag und keinen Arbeiterurlaub gab, vorerst auf kleine Sonntagswanderungen, zum Beispiel in den nahen Wienerwald beschränken.“ So beschrieb 1955 der Wiener Bürgermeister und spätere Bundespräsident Franz Jonas die Frühzeit seines Vereins, der Naturfreunde.

1895 wurde der „Touristenverein Die Naturfreunde“ gegründet. Die sozialen Bedingungen waren weit schlimmer als man sich heute vorstellen kann. Wochenarbeitszeiten bis zu 70 Stunden, Schlafstellen, die mit anderen geteilt wurden, schwere gesundheitliche Schäden, Tuberkulose und eine enorme Sterblichkeit. Die Naturfreunde waren Teil einer proletarischen Gegenbewegung. Der Acht-Stunden-Tag und arbeitsfreie Tage gehörten zu den ersten Forderungen des Vereins.

Illustration: Der Naturfreund: Sondernummer 60 Jahre Naturfreunde Credits: Erich König

Fototext: Der Naturfreund, Sondernummer 60 Jahre Naturfreunde 7-10, 1955, S. 6

1907 bei der Eröffnung des ersten Naturfreundehauses, dem Padasterjochhaus in den Stubaier Alpen, erklärte der Mitbegründer der Naturfreunde Karl Renner, warum das Haus mehr als eine Schutzhütte ist: „Wenn Sie hinauseilen in die Natur, wenn Sie wieder heraufkommen in dieses Haus, erinnern Sie sich daran, was wir wollen, vergessen Sie nicht, was die Aufgabe der Menschheit ist, und es wird nicht nur ein ‚Berg frei!‘ sein in unserer Zukunft, sondern ein ‚Welt frei!‘.“ Den Naturfreunden war sozialistisches und widerständiges Denken in die Wiege gelegt.

Der Faschismus kam nicht über Nacht

Anfangs war das Verhältnis zwischen den Naturfreunden und den bürgerlichen Alpinvereinen freundschaftlich. Dies änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg zusehends. Immer mehr Sektionen des „Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (DuÖAV)“ nahmen sogenannte „Arierparagraphen“ in ihre Statuten auf. Jüdinnen und Juden durften in diesen Sektionen nicht mehr Mitglieder sein.

1923 hatte bereits der Großteil der österreichischen Sektionen diese Bestimmung in ihren Statuten. In Deutschland war der Widerstand größer als in Österreich. Viele jüdische BergsteigerInnen traten den Naturfreunden und der Sektion Donauland des Alpenvereins, einer der letzten nicht antisemitischen Sektionen des Alpenvereins in Österreich, bei. 1924 wurde die Sektion Donauland aus dem DuÖAV ausgeschlossen. Die Naturfreunde waren der einzige Alpinverein, der dies scharf kritisierte. Die ausgeschlossene Sektion gründete den Alpenverein Donauland. Hakenkreuzfahnen und Hetzplakate auf Alpenvereinshütten führten nun oft zu Auseinandersetzungen.

Illustration: Plakat auf Hütten des DuÖAV Credits: Wikimedia Commons

Fototext: Plakat, das auf Hütten des DuÖAV hing

Der Alpenverein strich 1923 auch für Mitglieder anderer alpiner Vereine die Begünstigung bei Übernachtungen auf den Schutzhütten. Die Maßnahme richtete sich in erster Linie gegen die Naturfreunde. Für viele Naturfreundemitglieder war die Übernachtung in Alpenvereinshütten nun zu teuer geworden. Die Naturfreunde reagierten mit dem verstärkten Bau eigener alpiner Schutzhütten. Aus eigener Kraft bauten österreichische und deutsche Naturfreunde in kürzester Zeit 400 Schutzhütten. Mitglieder der Naturfreunde bauten die Hütten mit eigenen Händen. Der Bauausschuss der Wiener Naturfreunde rief im Herbst 1923 dazu auf, eine „Trutzgabe“ zu spenden. So wurde das Baumaterial finanziert. Die SpenderInnen trugen stolz ein goldenes Abzeichen. „TRUTZGABE – Aus eigener Kraft – BERG FREI!“

Foto: Trutzgabe Credits: Erich König

Fototext: Trutzgabe 1923

Aus dieser Zeit stammt der Spruch „Jede Naturfreundehütte ist ein Stück Klassenkampf.“ Die Naturfreunde, der Alpenverein Donauland und viele kleine Alpingesellschaften gewährten einander Hüttengegenrecht, um den Mitgliedern weiterhin das leistbare Übernachten auf den Bergen zu ermöglichen und ein Gegengewicht zum Alpenverein zu bilden.

Auch die Auseinandersetzungen mit den Heimwehren nahmen zu. Naturfreundehütten wurden von Heimwehren und Gendarmerie nach Waffen durchsucht. Die Durchsuchungen dienten der Provokation, auf den Hütten waren keine Waffen.

Februarkämpfe und Verbot der Naturfreunde

Am 13. Februar 1934 durchsuchten Heimwehr und Polizei die Naturfreundezentrale erfolglos nach Waffen. Am 14. Februar 1934 wurden nach der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) auch die Naturfreunde vom Dollfuß-Regime verboten. Paul Richter, der Präsident der Naturfreunde, wurde verhaftet. Viele Naturfreunde waren auch im Republikanischen Schutzbund organisiert, unter den Februartoten waren mehrere aktive Naturfreunde, eines der bekanntesten Opfer war Georg Weissel.

101 Naturfreundehäuser und ein Großteil des Eigentums der österreichischen Naturfreunde wurden beschlagnahmt und den Bergfreunden, einer Teilorganisation der austrofaschistischen Vaterländischen Front, übergeben.

Die deutschen Naturfreunde waren bereits 1933 nach Machtergreifung der Nationalsozialisten verboten worden. Die österreichischen Naturfreunde hatten die Gefahr des Verbots vorhergesehen und schon im September 1933 die Vereinszentrale in die Schweiz verlegt, wichtige Naturfreundedokumente wurden im Kohletender einer Lokomotive in die Schweiz gebracht. Von 1933 bis 1939 wurden fast alle der 22 Mitgliedsorganisationen der Naturfreundeinternationale verboten. Nur die Naturfreunde Schweiz und USA konnten bis 1945 aktiv bleiben, um 1945 den Wiederaufbau der Weltorganisation zu unterstützen.

Naturfreunde im Widerstand

Wie viele Naturfreundemitglieder im Widerstand aktiv waren, ist schwer nachzuvollziehen, da sie es meist als SozialistInnen, KommunistInnen oder GewerkschafterInnen waren. Der Anteil der Naturfreunde im Widerstand dürfte jedoch überproportional gewesen sein. Nach dem Verbot der Sozialdemokratie waren viele führende SDAP-FunktionärInnen im Exil oder in Haft, andere konnten nicht aktiv werden, da sie überwacht wurden. Die neuen Kader der Revolutionären SozialistInnen aber auch des kommunistischen Widerstands kamen daher oft aus den ehemaligen Vorfeldorganisationen der SDAP, sehr oft aus Sozialistischer Arbeiterjugend und den Naturfreunden. Dort hatten sie sich kennen gelernt, sind politisiert worden und lernten zu organisieren.

Als NaturfreundInnen wahrgenommen wurden sie nur, wenn sie naturfreundespezifische Widerstandsmaßnahmen in den Bergen durchführten. In der nächsten Nummer des „Sozialdemokratischen Kämpfers“ wird der Widerstand in den Bergen beschrieben werden.

Erich König

Kasten:

Derzeit wird an einem Buchprojekt zum Thema „Widerstand in den Bergen“ gearbeitet. Es soll ein Tourenführer werden, der politische und soziale und Zusammenhänge vermittelt. Es werden Touren zu Orten von historischer Bedeutung beschrieben. Das können Fluchtrouten, Partisanenverstecke oder andere Orte des Widerstands sein. Jeder Artikel wird mit einer Tourenbeschreibung ergänzt.

Falls jemand Dokumente oder Fotos aus dieser Periode hat, würde es uns freuen, wenn wir Einsicht nehmen und kopieren dürfen. landstrasse@naturfreunde.at

Der Dank für den Text und die Bilder geht an den Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen. Alle Artikel der aktuellen Ausgabe finden sich hier: http://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2024/06/Kaempfer-4_5_6_2024.pdf

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