12. Mai 2024: Die Wiederentdeckung eines europäischen Erinnerungsortes

„Ich habe von Dachau und Auschwitz gehört, aber noch nie von Flossenbürg.“ Diese Worte liest man, wenn man in die ehemaligen Lagerküche der Gedenkstätte eintritt, um die dortige Ausstellung zu besichtigen.

1936/37 entstehen die Lager Sachsenhausen und Buchenwald. Die wirtschaftlichen Interessen der Schutzstaffel (SS) spielen bei der Wahl neuer Standorte eine immer größere Rolle. Der Ort Flossenbürg im Nordosten Bayerns ist für sie aufgrund des Granitvorkommens interessant. Am 3. Mai 1938 erreicht der erste Transport mit 100 Häftlingen aus dem Konzentrationslager Dachau die Baustelle. Zum Jahresende befinden sich bereits 1.500 Häftlinge im Lager, zwischen 1938 und 1945 insgesamt rund 100.000 Häftlinge. Sie werden gezwungen im Flossenbürger Steinbruch der Deutschen Erd- und Steinwerke zu arbeiten. Kälte, harte Arbeit, Demütigungen und Unterdrückung, bis zur Erschöpfung arbeiten, zu Tode schinden ist wie in so vielen Konzentrationslagern an der Tagesordnung. Für die Firma Messerschmitt müssen die Häftlinge unter unwürdigsten Bedingungen Flugzeugteile montieren. Flossenbürg ist ein Hauptlager. Seine 80 Außenlager erstrecken sich von Bayern über Böhmen bis Sachsen. Zwei Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs erreichen US-amerikanische Einheiten Flossenbürg. Sie finden nur noch 1.500 todkranke Häftlinge vor.

Trotz des ganzen Wahnsinns wird dieses Konzentrationslager nach 1945 vergessen. So werden beispielsweise Mietwohnungen in der ehemaligen Kommandantur eingerichtet. Erst seit 1999 befindet sich hier nun Verwaltung, Archiv und Bibliothek der Gedenkstätte Flossenbürg. Der ehemalige Appellplatz wurde über fünf Jahrzehnte als Industrieareal genutzt. Heute zieht sich eine öffentliche Straße mitten durch diesen durch. Unmittelbar an die Gedenkstätte ziehen sich Häuserreihen. Dort, wo früher Häftlingsbaracken standen. Eine der Ausstellungen befasst sich mit den Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg von 1946 bis heute. Und dort liest man eine Aussage eines Bewohners dieser Häuser. Er meint, dass er lange nicht gewusst hat, auf welchem Grund diese Häuser stehen. Erst sehr spät hat er dies erfahren. 1947 wird eine kleine Gedenkanlage durch eine Gruppe polnischer „Displaced Persons“ errichtet. 1995 beginnt der Aufbau einer Gedenkstätte, für die sich die Überlenden vehement einsetzten. Das „vergessene Konzentrationslager“ wird jetzt erst als europäischer Erinnerungsort wahrgenommen. 2007 wurde die Dauerausstellung „Konzentrationslager Flossenbürg 1938-1945“ in der ehemaligen Wäscherei eröffnet. 2010 wurde die zweite Dauerausstellung „Was bleibt – Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg“ in der ehemaligen Lagerküche eröffnet. Diese Ausstellung geht auch den Fragen nach: Was bleibt nach 1945 vom Ort? Was bleibt an Erinnerung? Was bleibt von den Überlebenden? Und was bleibt von den Tätern?

Brigitte Drizhal (Verein Rote Spuren)

Foto: Wiederentdeckung eines europäischen Erinnerungsortes.jpg

Fototext: Rechts die ehemalige Wäscherei, gegenüber die ehemalige Lagerküche. Dahinter am ehemaligen Lagergelände heute Wohnhäuser.

Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 1_2_3_2024“
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