6. Mai 2024: 5 Jahre „Massiv der Namen“ in Maly Trostinec

Im März wurde das „Massiv der Namen“ 5 Jahre alt. Die Initiatorin Waltraud Barton informiert über Geschichte und Bedeutung dieses Memorials in Belarus.

Die Buchstaben der nahezu 1.000 einzelnen Vornamen wirken abgebrochen, unvollständig und zerstört. So wie es das Leben jener war, die diese Vornamen trugen.

Das „Massiv der Namen“ in Maly Trostinec ist ein Memorial für nahezu 10.000 „ÖsterreicherInnen“, die 1941 und 1942 „wegen ihrer jüdischen Abstammung“ nach Belarus deportiert und dort von den Nazis und ihren Helfern ums Leben gebracht worden sind. Seine Errichtung durch die Republik Österreich ist der österreichischen Zivilgesellschaft zu verdanken, dem langjährigen Kampf des Vereins IM-MER ERINNERN, der 2016 eine entsprechende Petition im Parlament eingebracht hat, die 2017 einstimmig im Nationalrat angenommen worden ist. Wenn ich als Gründerin des Vereins an die Einweihung des „Massiv der Namen“ am 28. März 2019 denke, fällt mir Arthur Loschitz ein. Der mit 13 Jahren aus Wien deportierte und bei Ankunft des Zuges in Maly Trostinec am 9. Oktober 1942 ermordete Arthur wäre an diesem Tag 90 Jahre alt geworden.

55 Menschen auf den Deportationslisten nach Minsk und Maly Trostinec hießen Art(h)ur. Unter ihnen Arthur Bondy, Versicherungsdirektor aus Salzburg, Arthur Lichtenstein aus Graz, der von seinen 1939 aus dem Deutschen Reich ausgewiesenen Eltern in ein jüdisches Waisenhaus gegeben werden musste, DDDDr. Arthur Luka mit Doktoraten in Jus, Philosophie, Medizin und Handelswissenschaften, Arthur Neuner, der nach Jahren in Palästina 1937 mit seiner Frau wieder nach Krems zurückgekommen war, Arthur Preiss, Wiener Fußballer, der 1909 ein 1:1 gegen Ungarn erreicht hatte, Dr. Arthur Ernst Rutra, Schriftsteller und Übersetzer, Mitglied der Vaterländischen Front, Unterstützer des „Ständestaats“ und zum katholischen Glauben konvertiert, Arthur Schiffer aus dem Burgenland, dessen Sohn Siegfried sich vergeblich von England aus um Ausreisevisa für seine Eltern bemüht hatte und der kleine Arthur Tennenbaum, deportiert mit seinem 4 Jahre älteren Bruder und seiner Mutter.

Am Massiv der Namen (Entwurf Daniel Sanwald) sind nur Vornamen zu finden, denn die Nennung der vollständigen Namen (Vor- und Zunamen) war von der belarussischen Regierung nicht genehmigt worden. So gleich ihr Vorname, so unterschiedlich ihre Lebenswege, so monströs-unmenschlich grausam ihr Ende: Wir aber müssen alle Toten bei ihrem Vor- und Zunamen nennen – wie auf einem Grabstein.

Niemand wurde 90 –

Arthur Deutsch wurde nur 76, Arthur Kohnrad, Arthur Weininger 72, Arthur Liebermann 66, Arthur Konrad, Arthur Reiner, Arthur Singer, Artur Beckmann 65, Arthur Bondy, Arthur Goldner 64, Arthur Elias, Arthur Kobler, Artur Reiss 63, Artur Brunner, Arthur Klempner, Arthur Kraus, Arthur Platzek, Arthur Stroh 62, Arthur Kaufmann, Arthur Schön 61, Arthur Friedmann, Arthur Sommer 60, DDDDr. Arthur Luka, Arthur Ornstein, Arthur Pick, Arthur Wagenberg 59, Arthur Schotten 58, Arthur Lederer, Arthur Prinz 57, Arthur Grün, Arthur Kramer, Arthur Preiss 54, Arthur Hlawatsch 53, Arthur Weiss 51, Arthur Kohn, Dr. Arthur Ernst Rutra, Arthur Rösler 50, Arthur Korsower, Arthur Schiffer 49, Arthur Holdengraber, Arthur Wolf 48, Arthur Schwarz 46, Arthur Landes 45, Arthur Neuner 44, Arthur Herszkowicz, Arthur Rosenberg 43, Artur Stern 41, Arthur Apter 37, Arthur Kohn, Arthur Wohl 33, Arthur Szrager 19, Arthur Lichtenstein 17, Arthur Loschitz 13, Arthur Sobelmann 12 und Arthur Tennenbaum nur 9 Jahre alt.

Die Totensorge ist Aufgabe der Nachgeborenen, ist unsere Pflicht: Wir müssen „unsere“ Toten „bestatten“, sei es auch nur symbolisch. Damit sie nicht über ihren Tod hinaus Ausgeschlossene bleiben. Denn die Toten zu begraben, ihnen die letzte Ehre zu erweisen, heißt „Ihr habt zu uns gehört“. Ist Zeichen, dass sie ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft waren. Erst dann können Denkmäler gebaut oder Mahnmale errichtet werden.

Für die nach Minsk und Maly Trostinec Deportierten hat der Verein IM-MER ERINNERN mittlerweile 600 gelbe Namensschilder angebracht – mit Vor- und Zunamen, Geburts- und Deportationsdatum – im Wäldchen Blagowschtschina, dort wo sie ermordet worden sind. Der Österreichische Wald der Erinnerung wächst und wächst. Für Arthur Loschitz wurde am 28. März 2019 an seinem 90. Geburtstag ein Namensschild aufgehängt. Für die 54 anderen mit dem Vornamen Arthur werden wir das bei unserer nächsten Reise machen. Wer kommt mit?

Waltraud Barton, Gründerin des Vereins IM-MER ERINNERN

Web-Tipp: http://www.im-mer.at/

Foto: Massiv der Namen.jpg Credit: Ben Bonouvrier

Fototext: Einweihung des „Massiv der Namen“ am 28. März 2019

Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 1_2_3_2024“
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