3. April 2024: Leo Mistinger 16. März 1904 – 3. April 2001 – „Ich war ein Kämpfer vom Roten Wien“

Leopold Mistingers Eltern waren seit den 1890er-Jahren Sozialisten und Gründungsmitglieder der Kinderfreunde, der bedeutenden sozialdemokratischen Familienorganisation. Leo erkannte sehr früh den Wert sozialer Sicherheit. Von seinen elf Geschwistern starben die meisten an Tuberkulose. Mit sechs Jahren kam er zu den Kinderfreunden. Als guter Schüler konnte er eine Buchdruckerlehre absolvieren und die Arbeiter Hochschule besuchen.1919 gründete er mehrere SAJ-Gruppen, denen nahezu 450 Mitglieder angehörten. Er war Vertrauensmann der Sozialdemokratischen Partei, sowie Betriebsratsobmann der Wiener Gewerblichen Fortbildungsschulen. In der SAJ lernte er seine zukünftige Ehefrau, Paula Mraz, kennen. Leo und Paula waren 1929 an der Organisation des großen Internationalen Sozialistischen Jugendtreffens beteiligt, das am Wiener Heldenplatz unter Fanfarenklängen und wehenden roten Fahnen vor 50.000 jungen Menschen aus 18 Nationen eröffnet wurde. Als Wahlredner begleitete Leo 1930 die Spielergruppen der „Blauen Blusen“ zum größten und letzten Wahlsieg der Sozialdemokratie der Ersten Republik.

Die faschistische Gefahr erkennend bereiteten sich Schutzbündler, Wehrsportler und die SAJ vor, die demokratischen Werte zu verteidigen. Leo Mistinger war einer der ihren. Eine schwere Enttäuschung erlebte Leo beim Ausbruch der Februarkämpfe am 12. Februar 1934, als der Schutzbund-Kreisleiter Eduard Korbel die Bezirkskommandanten und Waffenlager des Kreises West an die Behörden verriet. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei wurde verboten. Am 1. Mai 1934 folgte der Erlass einer neuen Verfassung. Leo und Paula Mistinger Paula schlossen sich den RS an. Leo wurde mehrfach verhaftet und ins Anhaltelager Wöllersdorf verbracht. Paula gelang die Flucht in die Tschechoslowakei zu Otto Bauer, der sie unter dem Namen Anna Mader als Kurierin einsetzte. Von Strapazen und schweren Regenfällen geschwächt, starb sie am 21. Mai 1935 im Lainzer Krankenhaus. Leo offenbarte einem Arzt die wahre Identität seiner Frau. Gesundheitlich schwer angeschlagen, wirkte Leo erneut bei den RS und in einer Betriebszelle der Eisenbahner mit. Wolfgang Neugebauer hält in seiner Publikation „Der Österreichische Widerstand 1938-1945“, dazu fest: „Zusätzlich zu den sozialistischen und kommunistischen Parteiorganisationen entwickelte sich Widerstand in den Betrieben. Als Leiter der Betriebszellen traten fast immer kommunistische Funktionäre auf, doch die Mehrzahl der Mitglieder kam aus den Reihen der Sozialisten, wenn sie auch von Gestapo und Gerichten durchwegs als Kommunisten abgestempelt und verurteilt wurden.“ Leos Familie gewährte 1943 verwandten kommunistischen Fallschirmspringerinnen Schutz, die jedoch enttarnt wurden und Geständnisse ablegten. Deren Geheimcodes wurden zur Irreführung der Russen genutzt. Leo wurde am 11. Jänner 1944 verhaftet, von Johann Sanitzer verhört, gefoltert und nach acht Monaten Haft wegen Hochverrat, Lostrennung vom Reich, Betreiben eines Feindsenders und Beherbergung feindlicher Fallschirmspringer ins KZ-Flossenbürg deportiert.

Unbekannte Häftlinge unterschlugen Leos Strafakt. Fortan behauptete er, sein Haftgrund sei ein polnischer Freund seiner Mutter. Im „Kommando Stich“ konnte er sich als „Elektriker“ an Sabotageakten beteiligen. 1945 ernannten ihn die US-Truppen zum „Chief-Desinfektor“. Das Angebot, in die US-Armee einzutreten, lehnte er ab. Im Juni 1945 gelangte Leo über Prag nach Wien. Zehn Tage später rief er im Auftrag Theodor Körners eine Kinder-Hilfsorganisation und den Verein „Jugend am Werk“ ins Leben.

Er wurde Amtsrat der Gemeinde Wien, Mitarbeiter im SPÖ-Bezirksvorstand Fünfhaus, gründete eine Heimatstube – Vorgängerin des Bezirksmuseums. Er war von Dezember 1945 bis März 1963 Gemeinderats- und Landtagsmitglied, 1963-1968 Bezirksvorsteher in Rudolfsheim-Fünfhaus, 1968-1970 Abgeordneter zum Nationalrat, 1989 wurde er zum Wiener Bürger ernannt, ab 18. November 1990 bis 1992 folgte er Rosa Jochmann als Bundesvorsitzender der Freiheitskämpfer nach, 1996 wurde Leo Ehrenvorsitzender des Bundes.

Der SPD-Ortsverein Flossenbürg lud Leo 1995 zur Enthüllung des sogenannten „Sozialistensteins“ in der Gedenkstätte ein. 1999 reiste Leo in Begleitung des Ehepaares Ströer und Edith Krisch zur Eröffnung des Studien- und Dokumentationszentrums Flossenbürg. Die Delegation wurde vom Ehrenvorsitzenden des SPD-Ortsvereins Albert Schwägerl und seiner Ehefrau Edith herzlich begrüßt. Leo hatte Gelegenheit, Radio- und Fernsehinterviews zu geben. Albert Schwägerls Einsatz für die Gedenkstätte wurde im Jahr 2000 mit der Otto-Bauer-Plakette anerkannt.

Leo Mistinger verstarb am 3. April 2001. 2005 erfolgte die Benennung des Leopold-Mistinger-Platzes.

Edith Krisch

Foto: Leo Mistinger.jpg Credits FreiheitskämpferInnen

Fototext: Leo Mistinger, Ehrenvorsitzender unseres Bundes

Hinterlasse einen Kommentar