1. April 2024: Ehemalige Anhaltelager in Österreich

Anhaltelager der Dollfuß/Schuschnigg-Diktatur werden oft mit inhaftierten Sozialdemokraten und Kommunisten in Verbindung gebracht und weniger mit den Nationalsozialisten. Es stimmt, dass eine sehr hohe Anzahl von Sozialdemokraten und Kommunisten inhaftiert war, am Höhepunkt der Belegung im September 1934 (nach dem Juli-Putsch) waren es aber zu 85 % Nationalsozialisten. Dieses Verhältnis änderte sich rasch wieder, da Nationalsozialisten viel rascher entlassen wurden als Linke.

Anhaltelager und deren Insassen während der Dollfuß/Schuschnigg Diktatur

Am 23. September 2023 jährte sich zum 90. Mal die Verordnung (BGBl. Nr. 431/1933) zur Errichtung von Anhaltelagern in Österreich, um „sicherheitsgefährliche Personen“ ohne vorherige administrative oder strafrechtliche Verfahren inhaftieren zu können. Am 1. September 1933 wurde im Ministerrat (MRP 896) über „Sammellager“ gesprochen, jedoch wurde der Begriff von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß wegen des negativen Images aus Deutschland abgelehnt. Ursache waren die Sprengstoffanschläge der illegalen Nationalsozialisten in Österreich. Treibend für die Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren waren Kurt Schuschnigg (BM für Justiz), Emil Fey (BM für öffentliche Sicherheit), Heimwehr-Führer Ernst Rüdiger Starhemberg und Odo Neustädter-Stürmer (Staatssekretär). Nur Vizekanzler Winkler war gegen die Verordnung und wurde am 21. September durch Fey als Vizekanzler ersetzt.

Am 17. Oktober teilte Staatssekretär Karwinsky (Inneres, Sicherheitswesen) auf Presseanfrage in Abstimmung mit dem Ministerrat mit, dass es „in Österreich keine Konzentrationslager gäbe, aber 20 Leute im Notarrest untergebracht sind. Ziel dieser Notarreste sei es, dass diese politischen Häftlinge nicht mit gerichtlich verurteilten Häftlingen gemeinsam untergebracht werden. Betroffene Personen stehen im Verdacht, staatsfeindliche Aktionen vorbereitet zu haben. Dies sind sieben Studenten aus Wien, elf Personen aus der Steiermark und zwei Kommunisten aus Wien, die im Objekt 862 in Wöllersdorf primitiv untergebracht sind. Bei Bedarf werden ähnliche Einrichtungen in anderen Bundesländern geschaffen“.

Mit der Verordnung entstanden mit Ausnahme von Vorarlberg in jedem Bundesland ein oder mehrere Anhaltelager. Viele diese Anhaltelager waren nur kurze Zeit aktiviert, wie z. B. in Wiener Neustadt das Haferdepot (Dezember 1933 bis Jänner 1934) und Ungargasse 44 (Juli bis Oktober 1934). Natürlich waren das keine großen Lager, sondern Gebäude die notdürftig für wenige Gefangene vorbereitet und durch die Gendarmerie bewacht wurden. Deswegen wurde auch der Ausbau des Lagers in Wöllersdorf zügig durchgeführt. Waren es am 10. März 1934 noch fünf Gebäude mit 440 Häftlingen wurde es bis August 1934 für ca. 7.000 Menschen ausgebaut und war damit das größte Anhaltelager des Landes. Angehaltene aus ganz Österreich wurden nach Wöllersdorf gebracht.

Die bekanntesten Anhaltelager neben Wöllersdorf waren Kaisersteinbruch (Burgenland), Graz-Messendorf und Graz-Waltendorf. Die Belagszahl betrug an ihrem Höhepunkt am 23. September 1934 in Summe 13.388 Inhaftierte, davon in Wöllersdorf 5.063. Der Rest war in den verschiedenen Bundesländern verteilt. Die unterschiedliche Anzahl der Inhaftierten pro Bundesland kann man in der beigefügten Grafik sehen.

Interessant sind dabei drei Aspekte:

  1. In den Anhaltelagern wurden nur Männer inhaftiert. Frauen wurden in Gefangenenhäuser der Polizei gefangen gehalten.
  2. Von den 13.388 Inhaftierten am Höhepunkt der Verfolgung, waren 11.604 illegale Nationalsozialisten und nur 1.784 Sozialdemokraten und Kommunisten (davon in Wöllersdorf 4.507 Nazis sowie 556 Sozialisten und Kommunisten).
  3. Sozialdemokraten und Kommunisten waren die Minderheit der Gefangenen. Waren im September 1934 nur 15 % Sozialisten und Kommunisten, änderte sich dies schnell, weil die Nazis früh aus der Haft entlassen wurden. Am 1. Mai 1935 waren 283 Nationalsozialisten und 112 Sozialdemokraten und Kommunisten in Wöllersdorf eingesperrt.

Der Grund, warum gerade zu dieser Zeit so viele Menschen inhaftiert waren (oder „angehalten“ wurden, wie es im offiziellen Sprachgebrauch hieß), war der Nazi-Putsch am 25. Juli 1934 mit der Ermordung Dollfuß‘.

Die meisten Häftlinge wurden aber bald entlassen. In Folge wurden die meisten Anhaltelager aufgelassen und Häftlinge von dort nach Wöllersdorf verlagert. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im März 1938 wurde unter großem medialen Aufwand „Wöllersdorf niedergebrannt“. In der Realität wurde nur eine Baracke, die „schwarze Baracke“ (Baracke Nr. 78), mit Stroh angefüllt und am Abend (nach Sonnenuntergang) effektvoll niedergebrannt. Das gesamte Mobiliar des Lagers wurde nach Mauthausen verfrachtet und für das im Aufbau befindliche Konzentrationslager verwendet.

Franz Gehringer

Grafik Anhaltelager in Österreich.png Credit Böhlau Verlag

Grafiktext: Belegung der Anhaltelager und Gefängnisse in den Bundesländern (oberer Balken Sozialisten und Kommunisten, unterer Balken Nationalsozialisten). Bildhintergrund ist eine Luftaufnahme des Lagers Wöllersdorf (gut erkennbar das markante halbrunde Gebäude, das heute noch existiert).

Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 1_2_3_2024“
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