Vor 120 Jahren, am 16. Juli 1903, wurde in Stuttgart Fritz Bauer geboren. Der Sozialdemokrat war von 1956 bis 1968 Generalstaatsanwalt in Hessen und machte sich um die gerichtliche Verfolgung von NS-Tätern verdient.
Fritz Bauer wurde als Sohn liberaler jüdischer Eltern geboren, war aber bekennender Atheist. Sein Vater war der Textilgroßhändler Ludwig Bauer. Bauer studierte Rechtswissenschaft in Heidelberg, München und Tübingen. Bereits während seiner Studienzeit engagierte er sich in einer liberalen Studentenverbindung, 1930 wurde er jüngster Amtsrichter der Weimarer Republik. Sehr rasch wurde Bauer politisch aktiv. 1920 trat er der SPD bei, später übernahm er den Vorsitz des Republikanischen Richterbundes in der Ortsgruppe Stuttgart des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Am 23. März 1933 wurde er verhaftet und verbrachte acht Monate in den KZ Heuberg
und Oberer Kuhberg. Er sollte eine Loyalitätserklärung unterzeichnen, was er jedoch ablehnte. Es sollte für die Nationalsozialisten ein „Treuebekenntnis einstiger Sozialdemokraten“ sein. Aus dem Staatsdienst wurde Bauer auf der Basis des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen. 1936 emigrierte er nach Dänemark. Nach der deutschen Besetzung entzogen ihm die dänischen Behörden im April 1940 die Aufenthaltsbewilligung und internierten ihn drei Monate in einem Lager. Zu seinem Schutz heiratete er im Juni 1943 eine „arische“ Dänin. Im Oktober 1943, als die Nazis die dänischen Juden in das KZ Theresienstadt brachten, tauchte er unter und wurde im Rahmen der Rettung der dänischen Juden mit Unterstützung einheimischer HelferInnen nach Schweden übergesetzt. Dort traf er Willy Brandt, arbeitete als Archivgehilfe und gründete mit Brandt die Zeitschrift „Sozialistische Tribüne“.
Im Jahr 1949 kehrte Bauer nach Deutschland zurück, 1950 wurde er Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Braunschweig. Auf Initiative des Ministerpräsidenten Georg-August Zinn (SPD) wurde er in das Amt des hessischen Generalstaatsanwaltes mit Sitz in Frankfurt am Main berufen. Dieses Amt hatte er bis zu seinem Tod 1968 inne.
1957 informierte Fritz Bauer den israelischen Geheimdienst Mossad über den Wohnort Adolf Eichmanns in Argentinien. Bauer misstraute der deutschen Justiz – er befürchtete, Eichmann würde gewarnt – und wandte sich direkt nach Israel. 1959 wurde auf seine Initiative hin ein Konvolut von 100.000 Fahndungsakten nicht ans Bundesarchiv, sondern an die zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen übergeben. 1959 erreichte Bauer, dass der Bundesgerichtshof die „Untersuchung und Entscheidung“ in der Strafsache gegen Auschwitz-Täter dem Landgericht Frankfurt am Main übertrug. Auf Weisung Bauers leitete die dortige Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen vormalige Angehörige und Führer der SS-Wachmannschaft des KZ Auschwitz ein. Der erste Auschwitzprozess in Westdeutschland, die „Strafsache gegen Mulka u.a.“, wurde schließlich im Dezember 1963 gegen 22 Angeklagte vor dem Landgericht Frankfurt am Main eröffnet.
In der bundesdeutschen Nachkriegsjustiz war Bauer wegen seines Engagements sehr umstritten, die meisten damaligen Juristen hatten doch in der Zeit davor schon der NS-Diktatur gedient. Medien zitierten ihn mit dem Satz: „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“
Bauer hielt 1960 vor Vertretern von Jugendverbänden das Referat „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns.“ Der Vorschlag des rheinland-pfälzischen Landesjugendringes, den Text Oberstufengymnasien und Berufsschulen als Broschüre zur Verfügung zu stellen, wurde 1962 vom jungen CDU-Abgeordneten Helmut Kohl forsch abgelehnt: „Der zeitliche Abstand vom Nationalsozialismus sei zu gering um sich ein Urteil bilden zu können.“
Fritz Bauers Werk galt dem Aufbau einer demokratischen Justiz. Die Frankfurter Auschwitzprozesse (1963-1981) wären ohne Bauers hartnäckigen Einsatz nicht zustande gekommen. Breite Schichten in der Bevölkerung lehnten die Verfahren ab. Die Täter wurden nur zu wenigen Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, und später auch begnadigt. Trotzdem besteht das Verdienst von Bauer darin, durch die von ihm angestrengten Prozesse ab Mitte der 1960er Jahre die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust eingeleitet zu haben.
Fritz Bauer wurde am 1. Juli 1968 tot in seiner Wohnung aufgefunden. Der Gerichtsmediziner vermutete Suizid. Darauf hinweisende Verhaltensweisen Bauers vor seinem Tod fehlten. Er wurde auf seinen Wunsch entgegen jüdischer Tradition eingeäschert, die Urne wurde im jüdischen Teil des Ostfriedhofs in Göteborg beigesetzt.
Filmtipp: „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (2015)
Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 7-8-9/2023“