6. Juli 2023: SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler: „Bildungspolitik der Regierung zwischen Planlosigkeit und Fahrlässigkeit“

SPÖ-Bildungssprecherin kritisiert Schulgesetznovelle und warnt vor Einführung von „Lehrkräften zweiter Klasse“

„Die jüngst publik gewordene geplante Novelle des Schulgesetzes verdeutlicht einmal mehr, dass die Bildungspolitik der Bundesregierung irgendwo zwischen Planlosigkeit und Fahrlässigkeit dahindümpelt“, kritisiert SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler die geplante Einführung von Assistenzpädagog*innen scharf. Tanzler schließt sich damit der Kritik vonseiten der Gewerkschaft GPA an. ****

„Der Begriff ‚Assistenzpädagog*in‘ klingt zunächst vielleicht ganz gut, dahintersteckt aber nicht mehr als die Idee einer ‚Lehrkraft zweiter Klasse‘“, führt die SPÖ-Bildungssprecherin aus. „Es handelt sich bei der Idee um schlechter ausgebildete und daher billigere Arbeitskräfte, die die Bundesregierung zum Stopfen von Lücken im Bildungssystem nutzen will.“ Dabei brauche es das genaue Gegenteil, um die Situation zu verbessern: „Seit Jahren setzen wir uns für den Ausbau von Ganztagsschulen ein, um endlich der massiven Vererbung von Bildung entgegenzutreten“, spricht Tanzler die jüngst veröffentlichte Studie zu den Lesekompetenzen von Volksschüler*innen (PIRLS) an. „Wir müssen weg vom Modell der Hausaufgabenschule, in der der Bildungsgrad und das Geldbörserl der Eltern über den Schulerfolg ihrer Kinder entscheiden. Dafür brauchen wir bestens ausgebildetes Personal. Die Einführung von Assistenzpädagog*innen, die mit einer schlechteren Ausbildung mit Schüler*innen arbeiten sollen, geht hier in die völlig falsche Richtung.“

Mit der Einführung der Assistenzpädagog*innen würde der Berufszweig der Freizeitpädagog*innen und der entsprechende Lehrgang an den Pädagogischen Hochschulen abgeschafft werden. Tanzler teilt hierbei die Kritik der GPA: „Neben der niedrigeren Qualität im Unterricht durch die geplante Halbierung der Ausbildungszeit drohen zudem massive Verschlechterungen für die vielen Beschäftigten in der Freizeitpädagogik bei Gehalt und Dienstrecht. In Zeiten einer Rekordinflation Gehaltskürzungen vorzuschlagen, ist an Zynismus kaum zu überbieten!“, so Tanzler abschließend.

Eckpunkte der Novelle:

  • Die Freizeitbetreuung an Ganztagsschulen liegt aktuell bei dem Schulerhalter (im Falle von VS meist die Gemeinde). Organisatorisch agieren die Schulerhalter österreichweit sehr unterschiedlich, in manchen Gemeinden sind diese in ausgegliederten Gesellschaften oder Vereinen beschäftigt, andere stellen das Personal für die Nachmittagsbetreuung bei sich direkt in der Gemeinde an.
  • Das Bildungsministerium strebt nun die Einführung eines neues Berufsbildes der Assistenzpädagog:innen (AP) für ganztägige Schulen an (neue Personalkategorie im Lehrpersonendienstrecht, zuständig wären damit die Bildungsdirektionen).
  • Aufgaben dieser neuen Berufsgruppe: Gestaltung bzw. Mitwirkung an der Gestaltung des Betreuungsteils an ganztägigen Schulformen, die Durchführung von neu geschaffenen Förderübungen, der Sommerschule des Bundes sowie die Unterstützung der Lehrpersonen zur Erfüllung der Aufgaben des Schulwesens. Sie sollen jene ersetzen, die bisher als FreizeitpädagogInnen (FP), ErzieherInnen sowie ErzieherInnen für Lernhilfe für unterschiedliche Arbeitgeber (Vereine, GmbHs) in ganz Österreich arbeiten.
  • Finanzierung: Die Ressourcen dafür sollen zu einem gewissen Anteil über den Stellenplan des Bundes für Landeslehrer:innen in Form eines zweckgebundenen Zuschlags zur Verfügung gestellt werden (Umfang noch offen). Bisherige Zuschüsse über 15a Vereinbarung für Ausbau ganztätiger Schulen bzw. Mittel aus dem Bildungsinvestitionsgesetz fallen damit weg.
  • Ausbildung: 30 ECTS statt 60 ECTS – Die Ausbildung für die AP ist geringer als der bestehende Lehrgang für Freizeitpädagog:innen. Voraussetzung für den Zugang zur Ausbildung ist die Matura (derzeit für FP nicht notwendig).

Aus Sicht der Betroffenen sind vor allem Verschlechterungen zu befürchten:

  1. Schüler:innen und Eltern
  2. Verschlechterung der pädagogischen Qualität für die Kinder und Eltern: Die Betreuung in der Lernzeit wird massiv verschlechtert, da künftig nicht mehr der/die Klassenlehrer:in die Lernzeit leitet, sondern einE Assistenzpädagog:in. Im Vergleich zu Lehrer:innen verfügen diese lediglich über eine Schmalspur Ausbildung, im Vergleich zur Freizeitpädagog:in halbiert sich die Ausbildungsdauer (siehe Grafik). Verschränkte Ganztagesschulen verlieren außerdem die pädagogische Flexibilität auf den Lernrhythmus der Kinder einzugehen. Zu befürchten ist das Ende der verschränkten Ganztagsschule.
  • Im Modell sind keine zusätzlichen Stunden für Kinder mit Behinderungen oder sonderpädagogische Ausbildungen vorgesehen.
  • Es gibt keine Unverbindliche Übungen mehr für Neigungsspezifische Angebote (Kursprogramm) in den ganztätigen Schulen, z.B.: Sport, Sprachen, Forschen.
  • Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist gefährdet: Ferienbetreuung für die Semester-, Oster- und Weihnachtsferien ist nicht mehr gesichert, da Entwurf Urlaubsregelung der AP wie bei Lehrer:innen vorsieht. Es wird zwar die Möglichkeit eingeräumt, die AP über Zusatzverträge über die Gemeinden für diese Ferienzeiten anzustellen. Allerdings ist davon auszugehen, dass kaum jemand hier freiwillig zur Verfügung stehen wird. Ohne Dienstpflicht der AP in diesen Zeiten kann ein Regelbetrieb nicht gewährleistet werden. 
  • Freizeitpädagog:innen
  • Massive Gehaltskürzungen sind zu befürchten: AP sollen laut Entwurf künftig ein Einstiegsgehalt von EUR 2.360,– erhalten. Die Freizeitpädagog:innen beispielsweise der von der Stadt Wien gegründeten GmbH „Bildung im Mittelpunkt“ haben derzeit ein Einstiegsgehalt von EUR 2.639,–. Das bedeutet, künftig verdient das Personal weniger für allerdings wesentlich mehr Aufgaben. Der zuständige Betriebsrat rechnet vor, dass bei 40 Wochenstunden vor allem in den ersten Jahren mit einem Minus von bis zu 19% zu rechnen ist. Erst nach über 18(!) Berufsjahren würde die Anwendung dieses Gehaltsschemas mit dem gültigen Kollektivvertrag (Sozialwirtschaft Österreich, SWÖ) gleichziehen bzw. diesen erst ab 24,5 Jahren spürbar überholen. Und das auch nur, wenn es zur vollen Anrechnung sämtlicher Vordienstzeiten kommt. Auch in anderen Bundesländern – etwa im Burgenland – würde es zu spürbaren Gehaltseinbußen kommen.
  • Arbeitsrechtlich vieles unklar! In welcher Form bestehendes Personal aus privaten Vereinen bzw. privaten Arbeitgeber:innen übernommen wird und welche arbeitsrechtlichen Aspekte daher greifen wird durch den Gesetzesentwurf nicht geklärt. Das betrifft unter anderem mögliche Übergangsbestimmungen, die konkrete Arbeitszeit, die Anrechnung von Vordienstzeiten, Umgang mit aktuell gültigen Vereinbarungen wie Eltern-, Alters- und Wiedereingliederungsteilzeit, Urlaubsbestimmungen, Fortbildungen usw., aber vor allem natürlich die Frage, wer zu welchen Bedingungen übernommen wird. Zu befürchten ist jedenfalls, dass viele erfahrene und kompetente FP auf Grund der Matura als Voraussetzung nicht übernommen werden (können).
  • Lehrer:innen
  • Lehrer:innen bekommen vermutlich für die gegenstandsbezogenen Lernzeit (GLZ) nur mehr 0,75 statt 1 h. Da diese außerdem nur mehr freiwillig ist, kann Verschränkung nicht hergestellt werden und der Unterricht wird ausschließlich „geblockt“ am Vormittag erfolgen. Zu befürchten ist das Ende der verschränkten Ganztagsschule.
  • Der Entwurf sieht auch klar vor, dass nur dann Lehrer:innen für den Betreuungsteil (Lernzeiten, Ergänzungsunterricht und Freizeit) eingeteilt werden dürfen, wenn keine AP zur Verfügung stehen. Daher ist auch eine freiwillige Übernahme zu schlechteren Bedingungen durch Lehrkräfte nicht immer möglich.
  • Personalmangel im Schulbereich wird dadurch nicht geringer bzw. gelöst: Voraussetzung für den Zugang zur Ausbildung als Assistenzpädagogin ist die Matura (derzeit für Freizeitpädagog:innen nicht notwendig): Diese Personengruppe (primär Studierende/Absolvent:innen einer BHS) kann bereits jetzt als Sondervertragslehrer:innen mit gleichem Gehalt aber weniger Lehrverpflichtung (22h statt 32h, wie im Entwurf vorgesehen) angestellt werden.
  • Durch die (gegenüber der Freizeitpädagogik neu eingeführte) Hürde der Matura als Zugangsvoraussetzung für AP die bestehende Öffnung der Schulen durch freizeitpädagogisches Personal mit sehr diversen Lebenserfahrungen und Bildungs- und Berufswegen (inkl. Erfahrungen aus anderen (Lehr-)Berufen) massiv eingeschränkt.
  • Verwaltung
  • Neue Verwaltungsaufgaben für Bildungsdirektionen: ob es dafür mehr Ressourcen geben soll ist nicht geklärt; wie mit bestehenden Verwaltungsressourcen siehe Beispiel Wien – umgegangen wird, ist nicht geklärt.
  • Schulleitungen werden zusätzlich belastet – Überforderung droht: Schulen benötigen dringend Stabilität und Entlastung. Verantwortung für Personalsuche, Verwaltung, Einsatz des Personals obliegt künftig ihnen.
  • Gemeinden
  • Aus Sicht der Gemeinden könnte die Reformidee eigentlich das größte Potential haben: der Bund übernimmt die laufenden Kosten für die Tagesbetreuung, die administrative Aufgabe fällt weg, da die AP nun in der Bildungsdirektion beschäftigt wären.
  • Allerdings fehlt wiederum die Finanzierungssicherheit: Die Ressourcen sollen über einen zweckgebundenen Zuschlag im Stellenplan zur Verfügung gestellt werden. Diese Zuschläge kann das Bildungsministerium ohne Angabe von Gründen ändern. Das bedeutet, die Länder begeben sich in die Abhängigkeit des Bundes. Und die Gemeinden wiederum in Abhängigkeit der Länder. Für echte Planungssicherheit bräuchte es jedoch einen fixen Schlüssel, der im FAG zu regeln wäre. Das ist laut bisherigen Verhandlungsstand nicht geplant.
  • Zweckzuschüsse für den Ausbau der GTS und Investitionen im Infrastrukturbereich fallen weg (bisherige Mittel aus dem Bildungsinvestitionsgesetz).
  • Verschiebung öffentlicher Steuermittel in Richtung Privatschulen, dabei bräuchte es gerade im öffentlichen Pflichtschulbereich mehr Mittel: Bund würde auch die AP der Privatschulen im Stellenplan führen, dh massive Querfinanzierung der Privatschulen. Diese werden aber die Kostenreduktion selten weitergeben, sondern die Beiträge für (ohnehin meist einkommensstarken) Eltern gleich lassen.

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