13. Februar 1934: Nach dem Ende der Kämpfe, nach Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in Wörgl, Kirchbichl und Häring muss die Gendarmerie zur Kenntnis nehmen, dass mehreren Schutzbundführern die Flucht gelungen ist. Einer von ihnen ist Johann Sappl, gebürtig aus Jochberg im Bezirk Kitzbühel, seit 1910 beschäftigt im staatlichen Häringer Kohlebergwerk. Häring ist in der Zwischenkriegszeit eine der wenigen sozialdemokratischen Gemeinden in Tirol, die Bergleute sind gewerkschaftlich gut organisiert und mehrheitlich Parteimitglieder. Sappl wird 1928 in den Betriebsrat und den Vorstand der Bruderlade, 1931 zum Betriebsratsobmann gewählt. Bei den Gemeindewahlen 1928 kandidiert er erfolgreich für den Gemeinderat und arbeitet im Ortsschulrat. Er ist Obmann der Ortsgruppe der SDAP und aktiv in den sozialdemokratischen Vereinen im Ort. Der Republikanische Schutzbund verfügt zum Zeitpunkt des Aufstands über annähernd 80 Mitglieder, Sappl hat die Funktion des technischen Leiters übernommen.
Der drohenden Festnahme entgeht er zunächst versteckt bei Bauern in der Umgebung. Am 14. März gelingt die Einreise in die Schweiz, am nächsten Tag meldet er sich bei der Kantonspolizei Zürich. Im Wiener Zentralpolizeiblatt ist Sappl inzwischen wegen seiner Teilnahme am Aufstand und Anstiftung zum Sprengstoffdiebstahl aus dem Bergwerk zur Fahndung ausgeschrieben. Als politischem Flüchtling ist ihm jede politische und berufliche Tätigkeit ausdrücklich untersagt. Seine Frau und die drei Kinder, die im April nach Zürich nachkommen, sind angewiesen auf die Unterstützung durch schweizerische Hilfsorganisationen und sozialdemokratische Familien, bei denen die Kinder wohnen. Die Rückkehr nach Österreich scheint ausgeschlossen, eine längere Haftstrafe wäre jedenfalls zu erwarten und auf eine Begnadigung kann Sappl nicht hoffen – ins Ausland geflüchtete Februarkämpfer sind von derartiger Nachsicht ausgeschlossen. Unter diesen Umständen fällt die Entscheidung für die Emigration: Im Frühjahr 1935 erhält er durch Vermittlung der „Roten Hilfe“ eine Einreisebewilligung für die Sowjetunion. Nur in Einzelfällen werden zu dieser Zeit Flüchtlinge aus Österreich aufgenommen. Die Begeisterung, mit der im April 1934 die Angehörigen des ersten Schutzbundtransports empfangen worden sind, ist längst verflogen, ihre anfangs privilegierte Unterbringung und Versorgung steht Neuankömmlingen nicht mehr zur Verfügung. Nach ihrer Ankunft im August 1935 lebt die Familie unter beengten Verhältnissen in einem Flüchtlingsheim, später im Hotel Balčug. Johann Sappl findet Arbeit beim Prestigeprojekt des Baus der Moskauer Metro. Wenige Monate nach seiner Ankunft erregt er Aufsehen, weil er öffentlich in der Deutschen Zeitung die Meldungen über tägliche Rekordabbaumengen in den Kohlerevieren der Donbass-Region anzweifelt. Aus seiner Kaderakte geht hervor, dass er ab 1936 Mitglied der Exil-KP ist, weiterhin aber „unfähig, seine sozialdemokratische Vergangenheit abzustreifen.“ Spätestens 1937 nimmt er Kontakt mit der österreichischen Botschaft auf und erklärt schriftlich seinen Wunsch, in die Heimat zurückzukehren. Die Vorsprachen in der Botschaft werden vom sowjetischen Geheimdienst beobachtet, sie genügen als Vorwand für seine Verhaftung am 23. März 1938. Bereits am 27. März unterschreibt Sappl sein „Geständnis“: Er habe im Auftrag der Botschaft als „Spion“ Material über die Stimmung unter den Politemigranten und Metroarbeitern gesammelt. Am 21. Juli ergeht das zu erwartendeTodesurteil. Es wird am 16. August in Butovo südlich von Moskau vollstreckt, dem Hinrichtungsort Tausender Opfer der Stalinschen „Säuberungen“. Seine Frau erhält die übliche Mitteilung über eine angebliche Lagerhaft an unbekanntem Ort; Briefe oder Pakete zu schicken, sei zwecklos. Erst Jahre später erfährt sie von seinem Tod. Sie hat auf Anweisung der Moskauer Behörden zuletzt mit den Kindern in einem landwirtschaftlichen Betrieb außerhalb der Stadt gelebt, zwangsverpflichtet zu anstrengender Arbeit. Die Deutsche Botschaft ermöglicht schließlich 1940 die Ausreise aus der Sowjetunion. Wie alle „Rußlandrückkehrer“ werden Barbara Sappl und ihre Kinder von der Gestapo ausführlich befragt. Sie bleiben unbehelligt, gelten aber als politisch unzuverlässig und stehen unter Beobachtung. Sohn Hans wird 1941 wegen seiner Kritik am Kriegsverlauf von einem Militärgericht in Innsbruck verurteilt. Nach einem Fluchtversuch aus der Haft erleidet er einen Nervenzusammenbruch und stirbt kurz nach Kriegsende in der Heil- und Pflegeanstalt in Hall i.T.
Das Urteil betreffend Johann Sappl wird 1957 vom Militärtribunal des Moskauer Bezirks aufgehoben, Beweise für seine Spionagetätigkeit seien nicht zu erbringen gewesen.
Seit kurzem findet man auf der DÖW-Homepage rund 780 überarbeitete und fallweise ergänzte Kurzbiographien österreichischer Stalin-Opfer aus dem Gedenkbuch von Barry McLoughlin und Josef Vogl. Web-Tipp: http://www.doew.at
Gisela Hormayr
Foto: Johann Sappl.jpg Keine Credits
Fototext: Johann Sappl – Opfer des Stalinismus.
Der Dank für den Text und die Bilder geht an den Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen,
Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen. Alle Artikel der aktuellen Ausgabe finden sich hier: http://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2024/12/Kaempfer-10-11-12-2024.pdf