Die EU-Mitgliedschaft ist für uns in Österreich heute eine Selbstverständlichkeit und das geeinte Europa von Portugal bis ins Baltikum die pure Normalität. Wer sich zurückerinnert an den Anfang der 90er Jahre, weiß aber, dass unsere politische Welt damals noch eine ganz andere war. Wenige Jahre vor unserem EU-Beitritt 1995 ist der Eiserne Vorhang gefallen, der unseren Kontinent (und eigentlich die ganze Welt) geteilt hat. Österreich stand damals noch am Rand Europas – aber das hat sich in den letzten 30 Jahren gründlich geändert.
Seit wir Mitglied der EU sind, ist es wirtschaftlich immer weiter bergauf gegangen. Studien zufolge hat Österreich vom EU-Beitritt mehr profitiert als Schweden und Finnland, die gleichzeitig mit uns zur Union gekommen sind. Ein Grund dafür ist unsere Lage in der Mitte Europas – und das wir im Lauf der Jahre immer weiter ins Zentrum gerückt sind. Die EU Osterweiterungen in den 2000er Jahren haben aus den ehemaligen Ostblockstaaten echte Partner für unser gemeinsames Europa gemacht und unsere damalige Randlage inzwischen längst vergessen lassen.
Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ganz deutlich ab, dass die EU nach wie vor das wichtigste Friedensprojekt unseres Kontinents ist und wie wertvoll unser gemeinsames Bekenntnis zu Frieden, Demokratie und Menschenrechten ist. Man muss leider nicht weit über die EU-Grenzen hinwegschauen, um das Gegenmodell zu finden. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine führt uns täglich vor Augen, wie gefährlich der Totalitarismus ist, den Putin in den letzten Jahrzehnten etabliert hat.
Daher ist der Gründungsgedanke der EU als Friedensprojekt heute noch genauso wichtig wie damals. Die EU muss dazu beitragen, dass der Krieg in der Ukraine endet und endlich eine friedliche Lösung gefunden wird.
Auch Österreich steht hier in einer besonderen Verpflichtung. Wir müssen zeigen, dass wir aus den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte etwas gelernt haben und, dass wir unsere eigene Neutralität nach wie vor ernst nehmen. Das heißt nicht nur, dass wir uns nicht aktiv an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligen, sondern auch, dass wir als Vermittler auftreten, um solche Konflikte zu entspannen.
Österreich und auch die EU als Ganzes müssen daher schnell wieder in ihre wichtige Rolle hineinwachsen und neue Möglichkeiten für einen friedlichen Dialog suchen.
Aber leider gehen dazu die Meinungen auch innerhalb der EU weit auseinander. Deutlich wird das auch am gerade vollzogenen Wechsel der EU-Ratspräsidentschaft, die von Ungarn und damit vom Putin-freundlichen Orban an Polen und damit zum Putin-Kritiker Tusk gegangen ist.
Polens unmittelbare Nähe zum Krieg in der Ukraine wird auch der ausschlaggebende Faktor für die Ausgestaltung der EU-Ratspräsidentschaft werden. Das heißt, es wird insbesondere um Fragen der Sicherheit und der Rüstung gehen. Das ist nachvollziehbar, greift aber aus meiner Sicht zu kurz. Schließlich kann es nicht unser Ziel sein, die EU zu einer zweiten NATO zu machen. Unser Ziel muss vielmehr sein, als geeintes Europa für unsere Grundwerte einzutreten und unsere besondere Rolle zu nützen, um eine friedliche Lösung herbeizuführen.
Dr. Günther Sidl ist promovierter Politikwissenschafter und seit 2019 Abgeordneter zum Europäischen Parlament und Mitglied des SPÖ-Bundesbildungspräsidiums.