Naturfreunde im Widerstand (Teil 2)
Im ersten Teil wurden die Zeit bis 1934, der zunehmende Antisemitismus, die Radikalisierung des Alpenvereins und die Motivation der Naturfreunde zum antifaschistischen Widerstand beschrieben. Der zweite Teil hat nun den Widerstand in den Bergen zum Thema.
Fluchthilfe über die Berge
Ab 1933 organisierten österreichische Naturfreunde professionelle illegale Hilfsdienste, die von den Nationalsozialisten bedrohte Menschen über die Berge von Deutschland nach Österreich führten. Vom Hochkönigmassiv über das Steinerne Meer bis zu den Lechtaler Alpen und dem Bregenzer Wald erstreckte sich deren Tätigkeit. 1936/1937 waren Naturfreunde in der Silvretta und im Rätikon im Einsatz und brachten Spanienkämpfer in die Schweiz. Eduard Rabofsky, der schon 1933 einer der Fluchthelfer war, organisierte nun selbst ein großes Team, dem auch prominente Alpinisten wie Sepp Brunhuber, Fritz Kasparek und Otto Pensl angehörten. Auch nach 1938 führten Naturfreunde Verfolgte noch über die Silvretta in die Schweiz.
Ebenso waren deutsche NaturfreundInnen als Fluchthelfer aktiv. Einer von ihnen war der Münchener Hans Fischer, der 1933 den von den Nazis verfolgten SPD-Reichstagsabgeordneten und späteren bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner und den Journalisten Franz Blum an SA-Posten vorbei über das Karwendel nach Österreich führte.
Nach der Machtübernahme durch die NSDAP in Deutschland erlangte das an der tschechisch-deutschen Grenze liegende Naturfreundehaus „Königshöhe“ der Ortsgruppe Liberec/Reichenberg für Flüchtende und den Widerstand zentrale Bedeutung. Von 1933 bis 1938 wurden neben dem laufenden Hüttenbetrieb ständig bis zu 50 EmigrantInnen untergebracht und betreut.
Foto: Naturfreundehaus Königshöhe Credits: Naturfreunde
Fototext: Naturfreundehaus Königshöhe
Zuflucht und Widerstand in der Zeit des Faschismus
Viele NaturfreundInnen trafen sich nach 1934 illegal weiterhin. Einige davon, manchmal ganze Gruppen, fanden Unterschlupf in bürgerlichen Alpinvereinen. Mehrere Naturfreunde-Alpingesellschaften traten dem Gebirgsverein bei. Die Alpinistengilde der Naturfreunde, viele ihrer Mitglieder waren von 1934-1945 aktiv im Widerstand, tauchte beim „Alpenbund“ unter. Auch der Alpenbund wurde 1938 in den Gebirgsverein eingegliedert.
Große Teile der Naturfreunde Ottakring und mehrere Naturfreunde-Alpingesellschaften organisierten sich in der Alpinen Gesellschaft „Die Waldfreunde“. Die Waldfreunde dürften die Naturfreunde aktiv gedeckt haben. Die Mitgliederzahl der Waldfreunde hat sich auf Grund der Massenbeitritte während der beiden Faschismen massiv erhöht. Als die Waldfreunde 1938 in den Deutschen Alpenverein eingegliedert wurden, blieben die Naturfreunde weiterhin unbehelligt und bekleideten bis 1945 zahlreiche Vorstandsfunktionen.
In den beiden Schutzhütten der Waldfreunde, weit ab von der Polizei, wurden die politische Lage diskutiert, Pläne geschmiedet und die illegale „Arbeiter-Zeitung“ sowie der internationale „Naturfreund“ gelesen. Beide Zeitungen wurden übrigens von Naturfreunden aus der Tschechoslowakei bzw. der Schweiz nach Österreich geschmuggelt und verteilt. Im „Berg frei“, dem Mitteilungsblatt der Ottakringer Naturfreunde (Dezember 1945), wird diese Zeit von Wilhelm Huber wie folgt beschrieben:
„Auch der Naturfreund geht mit den revolutionären Sozialisten in die Illegalität, in den unterirdischen, unerbitterlichen Kampf gegen die Ränke von 1934 und 1938 und benutzt hierfür als pures Mittel zum Zweck da und dort die Mitgliedschaft bei irgendeinem Touristenverein, um seine Werbetätigkeit im Kampf gegen den Faschismus in jeder Form und mit äußerster Kraft fortzusetzen.“
Auf der Waldfreundehütte am Obersberg fanden während des Austrofaschismus von NaturfreundInnen und Revolutionären SozialistInnen organisierte 1. Mai-Feiern statt. Wilhelm Huber schreibt 1945 im „Berg frei“: „Ich erinnere mich mit besonderer Freude und mit Stolz an einen (solchen) ersten Mai, der mich mit der stattlichen Zahl von vierzig bis fünfzig Naturfreunden auf den Obersberg im Schwarzatale führte.“ Dort hielt der Revolutionäre Sozialist und Naturfreundefunktionär Karl Kysela eine Ansprache und es wurde das „Lied der Arbeit“ gesungen.
Auch Hilde Krones war Ottakringer Naturfreundin. Während des NS-Regimes hatte Krones durch ihre Arbeit beim I.G. Farben-Konzern Zugang zu Medikamenten, mit denen sie Widerstandsgruppen und PartisanInnen versorgte. Sie soll auch Kontakt zu den Kärntner PartisanInnen gehalten haben. Sie war Mitherausgeberin und Redakteurin der illegalen Zeitschrift „Die Wahrheit“ und führte in ihren Artikeln den Menschen die Schrecken der NS-Diktatur vor Augen. Fast der gesamte Kader der Revolutionären Sozialisten Ottakrings bestand aus NaturfreundInnen, die bei den Waldfreunden untergetaucht waren. Bei der Neugründung der SPÖ verhandelten die späteren Nationalratsabgeordneten Krones und Kysela auf Seiten der Revolutionären Sozialisten. Am 14. April 1945 kam es schließlich zur Gründung der neuen Sozialistischen Partei (SPÖ), die für kurze Zeit den Zusatz „Sozialdemokraten und Revolutionäre Sozialisten“ führte.
Streuzettel der Revolutionären Sozialisten Credits: Erich König
Fototext: Streuzettel der Revolutionären Sozialisten
Deckung für Parteitreffen – Naturfreundemethode
Das Treffen am Obersberg war kein Einzelfall. Viele Treffen der Revolutionären Sozialisten und der illegalen KPÖ wurden von gut organisierten Wachtrupps aus ehemaligen NaturfreundInnen gesichert, die sicherstellten, dass keine Gendarmerie oder Heimwehrtruppen im Anmarsch waren. Laut Eduard Rabofsky wurde der flankierende Schutz von politischen Veranstaltungen in den Bergen „Naturfreundemethode“ genannt.
Nachrichtenübermittlung und Botendienste. Der Widerstand funkte am Kaunergrat.
NaturfreundInnen schmuggelten Zeitungen und Druckvorlagen aus der Tschechoslowakei und der Schweiz nach Österreich. Sie übermittelten Nachrichten und hielten Kontakt zu Widerstandsgruppen in den Bergen und waren für die Versorgung mit Lebensmitteln und Waffen zuständig. Oft waren es Frauen, die diese gefährlichen Aufgaben übernahmen.
Zum Abschluss noch ein ungewöhnliches Beispiel: 1941 hielten die Naturfreunde Eduard Rabofsky, Leo Gabler und Fritz Hedrich mit Unterstützung von Irene de Crinis, der Wirtin der Kaunergrathütte, via Funkgerät Kontakt zur Exil-KPÖ und versorgten den Widerstand mit Informationen. „Aufgestellt wurde das Gerät im Schlafraum von Frau de Crinis, die also stets bei Sendungen anwesend war, um das Erscheinen anderer Personen zu verhindern und den Generator zu bedienen“, berichtete Rabofsky. Skurril war, dass die Alpingendarmerie auf der Kaunergrathütte stationiert war und ausrückte, um die Funker zu suchen. Leo Gabler und Fritz Hedrich wurden 1944 in Wien hingerichtet, ebenso Rabofskys Bruder Alfred. Eduard Rabofsky überlebte mit viel Glück und wiederum mit Unterstützung von Irene de Crinis.
Es ist kaum ein Fall bekannt, bei dem NaturfreundInnen bei den Widerstandshandlungen am Berg gefasst oder erschossen wurden. Sowohl bei den Fluchthilfeaktionen und den Botendiensten, als auch bei der Deckung von politischen Treffen waren diese Aktionen offensichtlich sehr gut organisiert. Auf Grund ihrer politischen Tätigkeit im Tal hingegen wurden viele NaturfreundInnen verhaftet und in Konzentrationslagern oder in Gestapo-Haft ermordet.
Wiese der Treue…
So war es auch bei der Alpinistengilde der Naturfreunde, die sich von 1934-1945 auf der Predigtstuhlwiese im Wienerwald traf um den Widerstand zu planen. Der spätere Bundessekretär der Naturfreunde Zephyrin Nemec, selbst mit der Gilde im Widerstand, nannte die Predigtstuhlwiese 1945 in der Festschrift „Es geht bergan! 50 Jahre Naturfreunde“ Wiese der Treue „denn keiner von jenen, die sich in den elf Jahren der Knechtschaft dort immer wieder trafen, verließ aus Gesinnungswechsel die Runde des inneren Widerstands. Trauer und Stille lag über den Fluren, wenn der Tod … einen Genossen holte – Spiel und Freude, wenn ein Hoffnungsschimmer leuchtete.
Und dann kam jener sonnige Frühlingstag, da im Juni nach der Befreiung wieder viele dabei waren, die aus Kriegsnot und Verschickung der Gilde zurückgegeben wurden. …
Die kleine Wiese aber, einst Symbol der Zusammengehörigkeit, war an allen Sonntagen wieder einsam und verlassen. Otto und Pepperl hauchten ihr Leben im KZ aus, es sind diejenigen aus unserer kleinen Gruppe, von deren Schicksal uns Gewißheit wurde, vor ihnen und vor den vielen ungezählten Männern und Frauen aus den Reihen der Naturfreundebewegung, die Opfer des Kampfes gegen Faschismus und Krieg wurden, verneigen wir uns in Ehrfurcht. Wir kämpfen weiter mit allen friedliebenden Menschen darum, dass ihre Opfer nicht umsonst waren, dass neues Unrecht, wo immer es sich zeige, beseitigt werde; denn unsere Sehnsucht gilt dem Frieden auf Erden: einem echten Frieden ohne Haß und Furcht.“
Erich König
Kasten:
Derzeit wird an einem Buchprojekt zum Thema „Widerstand in den Bergen“ gearbeitet. Es soll ein Tourenführer werden, der politische und soziale und Zusammenhänge vermittelt. Es werden Touren zu Orten von historischer Bedeutung beschrieben. Das können Fluchtrouten, Partisanenverstecke oder andere Orte des Widerstands sein. Jeder Artikel wird mit einer Tourenbeschreibung ergänzt.
Falls jemand Dokumente oder Fotos aus dieser Periode hat, würde es uns freuen, wenn wir Einsicht nehmen und kopieren dürfen. landstrasse@naturfreunde.at
Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 7_8_9_2024“
Hier geht es zur gesamten Ausgabe: http://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2024/09/Freiheitskaempfer-7-8-9-2024_Web.pdf
Text: von Dr. Gerald Netzl