16. Oktober 2024: Bauernkriege

Im Sommer nächsten Jahres wird sich der Große Deutsche Bauernkrieg zum fünfhundertsten Mal jähren. Dieses in jeder Hinsicht denkwürdige Ereignis bezeichnet den Höhepunkt einer sich über zwei Jahrhunderte hinziehenden, verzweifelten, von ungeheuerlichen Grausamkeiten und Exzessen kollektiver Gewalt durchsetzten Auflehnung feudaler Unterschichten gegen sukzessiven Landraub und rabiaten Freiheitsentzug.

Es ist der spätmittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Übergang von einer auf Subsistenz- und Überlebenssicherung basierenden Wirtschaftsform hin zu einer zunehmend marktorientierten Warenproduktion, der solch dramatische soziale und kulturelle Verwerfungen nach sich zieht. So gut wie in allen Fällen ist dieser Vorgang mit der Überführung von Gemeinschaftsgütern (gmain, allmende, freiwälder) in privates Eigentum bzw. der Enteignung von vordem gemeinschaftlich bearbeitetem Grund und Boden verbunden – ein Vorgang, der stets auf Diebstahl und Machtmissbrauch beruht, mithin auf der Anwendung von politischen, rechtlichen und physischen Zwangsmitteln. Der ökonomische Fortschritt vollzieht sich in Form einer tendenziellen Verelendung und beinahe gänzlichen Entrechtung der bäuerlichen Bevölkerung, es kommt zu massiven Einschränkungen von traditionellen Nutzungsrechten an Wäldern, Weide- und Ackerland, zu förmlichen Massenexpropriationen mit entsprechend weitreichenden gesellschaftlichen Folgewirkungen.

Wieder und wieder erhebt sich die fronende, hörige, ihrer persönlichen Freiheit enthobene Bauernschaft gegen herrschaftlichen Raub und autoritäre Anmaßung. Ihr zur Seite treten, als militärische, strategische, programmatische Führungskader und Avantgarde, Bergknappen und kleine Gewerken, Teile der städtischen Bürgerschaft, des qualifizierten Handwerks, des niederen Adels. Unterbäuerliche Schichten und städtische Plebejer stellen in vielen Fällen das radikale, vorwärtstreibende, wenn auch in seinen Aktionen und Ambitionen häufig ambivalente soziale Element. Ein um das andere Mal wird auf ihr sozialrevolutionäres Aufbegehren mit aller nur erdenklichen Demütigung, Folter, willkürlicher Exekution und massenhafter Hinrichtung reagiert, werden ihre geschändeten, zerrissenen, zu Tode gequälten Leiber zu Abschreckungs- und Demonstrationszwecken an öffentlichen Orten oft wochenlang zur Schau gestellt. Sengend und brennend, Tod und Verderben bringend zieht das Strafgericht der kaiserlichen Söldnerheere über das Land, durch die Dörfer, Städte und Montanreviere. Dadurch erst wird die soziale Hegemonie, werden die unermesslichen materiellen Besitztümer von Adel und Kirche langfristig gesichert: Ein Reichtum, der gleichermaßen zur kaufkräftigen Nachfrage der aufblühenden städtischen Luxusindustrien wie zum Träger der berühmten österreichischen Barockkultur wird – als symbolische Repräsentation einer triumphierenden Gegenreformation und als baulicher Ausdruck der Herrlichkeit Gottes auf Erden.

Doch tut sich in dem durchaus widersprüchlich verlaufenden Prozess des Übergangs zu Warenproduktion und Marktwirtschaft sowie der damit ursächlich verbundenen fundamentalen Umwertung aller Werte zugleich auch Anderes auf: Visionen eines alternativen Besseren, einer Welt der Gerechtigkeit und Gleichheit, jenseits aller Hierarchien von Stand und Geburt. In konkretem Aufruhr und allseitiger Loyalitätsverweigerung manifestiert sich der unbedingte, allumfassende „Wille zum Paradies auf Erden“ (Ernst Bloch), wird mit ungeheurem Nachdruck der „ewige“ Menschheitstraum eines gottgefälligen irdischen Daseins in Freiheit und Frieden mobilisiert, von aller feudalen Last und Fron, von jeglicher Untertänigkeit der Person, jeglicher Form der verhassten Leibeigenschaft für immer und alle Zeit befreit.

Am Anfang steht ein chiliastisches Experiment, das in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts das feudale Europa in seinen Grundfesten erzittern ließ: Die Häresie der südböhmischen Kommune Tabor forderte die absolute soziale Gleichheit Aller ein und zog, einem Magneten gleich, Visionäre, Utopisten, Apokalyptiker aus allen Teilen Europas in ihren Bann. Aller bestehenden Gesellschaft wurde im Namen des gerechten und rächenden Gottes der Krieg erklärt, die innere Organisation des taboritischen Gemeinwesens war demgemäß an den Vorgaben einer permanenten Kriegführung ausgerichtet – sein Schicksal, sein Ruhm und letztlich sein Verhängnis. Unfassliche anderthalb Jahrzehnte (1519-1534) vermochte Tabor sich zu behaupten, ganzen fünf von Papst und Kaiser ausgerufenen und organisierten Kreuzzügen wurde in „glorreichen“ Schlachten, die den dauerhaften Ruf der in allgemeiner Wehrpflicht stehenden Frauen und Männer der Kommune begründeten, widerstanden. Der erblindete, gleichwohl als unbesiegbar geltende apokalyptische Revolutionär Jan Žižka von Trocnov führt sie an, und Aeneas Sylvius Piccolomini – der spätere Papst Pius II. und Verfasser einer Historia Bohemica – sieht ihn ganz unzweifelhaft im Bündnis mit allen nur erdenklichen bösen und außerirdischen Mächten. Žižka ist in biblischem Alter einer tödlichen Seuche (vermutlich der Pest) zum Opfer gefallen. In seinem Testament, so will es die Legende, bestimmte er, dass seine fleischlichen Überreste den „Tieren und Vögeln“ vorgeworfen, seine Haut aber gegerbt und auf zwei Trommeln, welche die taboritischen Kämpfer fürderhin in die Schlacht führen, aufgespannt werden sollten.

Ein knappes Jahrhundert später findet der Aufstand der böhmischen Gotteskrieger seinen Widerhall in den Weiten der ungarischen Tiefebene. Der erste Medici-Papst hatte seinen gewichtigsten Gegenspieler, den magyarischen Kardinalprimas Tamás Bakócz, mit der Durchführung einer Kampagne zur Wiedergewinnung Konstantinopels beauftragt. Die massenhaft aus den Reihen der agrarischen Unterschichten rekrutierten, nunmehr entsprechend bewaffneten Cruciferi („jene, die das Kreuz nehmen“) werden das heilige Unternehmen in einen fürchterlichen Rachefeldzug, in einen barbarisch anmutenden, blutrünstigen Krieg gegen den grundbesitzenden Adelumschlagen lassen, dem ein bedeutender Teil der magyarischen Aristokratie zum Opfer fällt. Zeitlich auf die Sommermonate des Jahres 1514 begrenzt, scheitert die Rebellion am vergeblichen Versuch einer Einnahme Timișoaras/Temeswars. Die vom transsylvanischen Wojwoden Jan Szapolyai angeführte Adelsreaktion fällt drakonisch, ja bestialisch aus, die Leibeigenschaft und völlige Rechtlosigkeit der ungarischen Bauernschaft wird „auf ewig“ festgeschrieben. Das düstere Fest des Todes, die bis in das kleinste, grausame Detail durcharrangierte Hinrichtung des „Bauernkönigs“ György Dózsa Székely, ist bis zum heutigen Tag Fixbestandteil der ungarisch-nationalen Geschichtsmythologie. Dózsa hatte einen egalitär-demokratischen Gesellschaftsentwurf vorgelegt, eine gänzliche Revision gegebener feudaler Hierarchien und Ordnungen, die radikale Umkehr des Prinzips souveräner Macht angestrebt – und damit das wohl schlimmste Verbrechen gegen seine Zeit überhaupt begangen. Das Martyrium wurde unmittelbar am Körper des Delinquenten abgehandelt, der, wie so oft im Feudalzeitalter mit seiner noch wenig entwickelten Produktion und Geldwirtschaft, auch in diesem Fall das einzig erreichbare Gut darstellt. Die Erniedrigungs- und Leidensszenarien waren eingebettet in schier endlose, immer wieder verzögerte und durch stets neue Attacken vervielfältigte Prozeduren, das Opfer sollte die sprichwörtlichen tausend Tode durchleben. Sie waren so gleichermaßen Vorgriff auf das Jenseits wie Versinnbildlichung der unumschränkten Gewalt des Souveräns: ein Theater der Hölle.

Ganz offensichtlich unter dem Einfluss des magyarischen „Kreuzzugs“ erheben sich die windischen Bauern Kärntens, Krains und der Südsteiermark lediglich ein Jahr später im Zeichen der Stara pravda, des „alten Rechts“, der überbrachten „Gerechtigkeit“ – angeleitet von einer offensichtlich sehr präzisen Vorstellung davon, was rechtens sein müsse und was nicht. Über solche Beschwörung eines idealisierten Vergangenen weist das revolutionäre Aufbegehren der Tiroler, Ennstaler und Salzburger Montanarbeiterschaft im Rahmen des Großen Deutschen Bauernkriegs von 1525 weit hinaus. Es begibt sich im damals modernsten Industrierevier des Kontinents, und erstmals bieten die Bergknappen die rebellierenden Bauernmassen auf, erstmals bleibt, in der denkwürdigen Schlacht von Schladming (3. Juli 1525), ein Bauernheer über das landesfürstliche Söldneraufgebot siegreich. Zwei herausragende, in Qualität und Perspektive einzig dastehende Manifeste – Michael Gaismaiers Tiroler Landesordnung und die anonym verfassten Vierundzwanzig Artikel gemeiner Landschaft Salzburg – loten die Grenzen des zu dieser Zeit gerade noch Denkmöglichen aus. Analyse und Handlungsanleitung zugleich, wird nicht nur ein überzeitliches Widerstandsrecht postuliert, die kompromisslose Auflösung des Feudalsystems überhaupt steht zur Debatte.

Die strategisch-taktische Leistung des Gewerken, „Bergwerksverwesers“ und späteren Renegaten Michael Gruber im Rahmen der Schlacht von Schladming und der folgenden Belagerung der Festung Hohensalzburg ist gleichermaßen bemerkenswert wie das in schierer Bestialität ablaufende landesfürstliche Strafgericht im Gefolge der schlussendlichen Niederlage der Aufständischen; letzteres geradezu ein Wesenselement jener gewaltigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen im Vorschein der Moderne. Lediglich ein Beispiel aus einer nicht enden wollenden Serie der Gräuel und des Schreckens stellt das mit abgründigem Zynismus in Szene gesetzte Frankenburger Würfelspiel dar, das in der innerösterreichischen Bauernschaft ein letztes, von Stephan Fadinger und Christoph Zeller angeführtes heroisches Aufwallen von Selbstbehauptung und revolutionärer Leidenschaft ausgelöst hat. Wie die vorangegangenen Revolten und Rebellionen auch wird der oberösterreichische „Bauernkrieg“ von 1626 mit einer Niederlage der sich aufbäumenden Bauern, Knappen, Bürger, Kleinadeligen enden; und doch ist all diesen Aufständen gemein, dass sie, in der langen Perspektive, ganz wesentlich den Zerfall des europäischen Feudalsystems befördert haben.

Wolfgang Maderthaner

Foto: Cover_Zeitenbrüche_Maderthaner.jpg

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Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 7_8_9_2024“
Hier geht es zur gesamten Ausgabe: http://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2024/09/Freiheitskaempfer-7-8-9-2024_Web.pdf

Text: von Dr. Gerald Netzl

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