Am 5. Oktober 2024 wäre Frederic Morton 100 Jahre alt geworden. Der in Wien geborene Schriftsteller, der durch seine historischen Romane und Essays weltweite Bekanntheit erlangte, prägte die Literatur des 20. Jahrhunderts entscheidend mit. Besonders Mortons Kindheit in Hernals, einem Wiener Bezirk, hinterließ bleibende Spuren in seinem Werk. Als Sohn einer jüdischen Familie war sein Leben schon früh von der politischen und gesellschaftlichen Umbruchsstimmung der Zwischenkriegszeit und des aufkommenden Nationalsozialismus gezeichnet.
Kindheit in Hernals: Wurzeln und Flucht
Frederic Morton wurde am 5. Oktober 1924 als Fritz Mandelbaum in Wien geboren und wuchs im Wiener Gemeindebezirk Hernals auf. Hernals war damals eine bürgerliche, teils auch proletarisch geprägte Gegend. Mortons Familie, die aus jüdischen Eisenwarenfabrikanten bestand, lebte hier bis zum Jahr 1938. Die pulsierende Metropole Wien, geprägt von jüdischen Intellektuellen und Künstlern, bot Morton in seiner frühen Kindheit eine Welt voller Kultur, Bildung und lebendiger Vielfalt. Doch dieses Aufwachsen war von den zunehmend feindlichen politischen Veränderungen überschattet.
Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im März 1938 veränderte sich Mortons Leben radikal. Die jüdische Bevölkerung Wiens, die bis dahin eine wichtige Rolle im kulturellen und wirtschaftlichen Leben der Stadt spielte, sah sich einer Welle von Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Die Mandelbaums mussten fliehen – zuerst in die Schweiz, später in die USA. Diese dramatischen Erlebnisse prägten Mortons Weltanschauung und sollten in seinen literarischen Werken immer wieder thematisiert werden.
Morton selbst erinnerte sich an seine Kindheit in Hernals als eine Zeit voller Widersprüche – auf der einen Seite die Behaglichkeit und Stabilität seiner Familie, auf der anderen Seite die bedrohliche Aufladung der politischen Atmosphäre. Wien blieb stets ein Sehnsuchtsort für Morton, und in vielen seiner Werke schwingt diese verlorene Heimat mit, die er nie ganz hinter sich lassen konnte.
Der literarische Exilant
Nach der Flucht vor den Nationalsozialisten fand Morton in den USA eine neue Heimat. Dort begann er seine schriftstellerische Karriere, zunächst als Journalist und später als Romanautor. Besonders sein bekanntestes Werk „Die Rothschilds: Portrait einer Dynastie“ brachte ihm internationale Anerkennung. In diesem historischen Roman setzte er sich mit der Geschichte einer der einflussreichsten jüdischen Familien Europas auseinander, und durch die Verknüpfung von persönlicher und politischer Geschichte entstand ein vielschichtiges Bild von Macht, Verfolgung und jüdischer Identität. Die Rothschilds, die im 19. Jahrhundert eine prägende Rolle in Wien spielten, hatten indirekt eine Parallele zu seiner eigenen Familiengeschichte.
Für Morton, der sich immer wieder mit der Frage von Identität, Exil und Heimat auseinandersetzte, war das Schreiben eine Form der Verarbeitung der eigenen Flucht und Vertreibung. Seine Werke verbinden oft historische Ereignisse mit individuellen Schicksalen, wobei er ein tiefes Verständnis für die Brüche und Umwälzungen der europäischen Geschichte aufbrachte.
Wien und die Rückkehr in die Erinnerung
Obwohl Morton nach seiner Flucht nie wieder dauerhaft in Wien lebte, blieb die Stadt ein zentraler Punkt seiner Erinnerung und seiner literarischen Reflexionen. In seinem Buch „Ewigkeitsgasse“ schildert er das Leben in der gleichnamigen Straße im Wiener Bezirk Hernals, eine fiktive Adresse, die symbolisch für die verlorene Heimat steht. Das Buch reflektiert Mortons eigene Kindheitserinnerungen und beleuchtet das jüdische Leben in Wien vor der Katastrophe des Holocaust.
In seinen späten Jahren wurde Frederic Morton auch in Österreich zunehmend anerkannt. 2001 erhielt er das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien, und seine Werke fanden Eingang in das österreichische Kulturgut. Morton starb am 20. April 2015 in New York, doch seine Bücher und seine Erinnerungen an das Wien der Zwischenkriegszeit bleiben ein lebendiges Zeugnis für die Bedeutung dieser Stadt in der europäischen Kulturgeschichte.
Ein Jahrhundert später
Frederic Mortons 100. Geburtstag gibt Anlass, nicht nur sein literarisches Erbe zu feiern, sondern auch an die Brüche und Verluste zu erinnern, die seine Generation prägten. Seine Kindheit in Hernals, die plötzliche Vertreibung und die Erfahrungen des Exils spiegeln die dramatischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts wider. Doch Mortons literarischer Blick war immer auch geprägt von einer tiefen Menschlichkeit und dem Glauben an die Kraft der Geschichten, die Vergangenheit zu verstehen und die Gegenwart zu gestalten.
Literatur und Quellen:
- Frederic Morton, Die Rothschilds: Portrait einer Dynastie, 1962.
- Frederic Morton, Ewigkeitsgasse, 1993.
- Wikipedia-Artikel: Frederic Morton
- Wien Geschichte Wiki: Frederic Morton
- Bild: Von Franz Johann Morgenbesser – https://www.flickr.com/photos/vipevents/11394019166, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39692505