1. Oktober 2024: 100 Jahre Radio

Vor 100 Jahren, am 1. Oktober 1924, startete die „Radio-Verkehrs-AG“ (RAVAG) ihren offiziellen Sendebetrieb.  Sie war zwar formal als Aktiengesellschaft organisiert, tatsächlich handelte es sich aber um einen staatsnahen Betrieb mit einem Programmbeirat, der zumindest in der Demokratie noch annähernd politisch ausgewogen sein sollte.

Im Umfeld der Sozialdemokratie entstand in den 1920er-Jahren der „Freie Radiobund“ bzw. der „Arbeiter-Radiobund Österreichs“ (ARABÖ), der sich gegen ein staatliches Monopol aussprach und für eine Demokratisierung der Medien, für eine Gegenöffentlichkeit und für Kommunikationsfreiheit eintrat. Die Arbeiterbildner Josef Luitpold Stern und Leopold Thaller wollten den Rundfunk aktiv nutzen, um der arbeitenden Klasse Wissen zu vermitteln. Stern saß schließlich für den „Arbeiter-Radiobund“ im Beirat. Der Wiener Gemeinderat Thaller vertrat das Bundesland Wien und forderte die Programmleitung der RAVAG wiederholt auf, mehr Programm für die Arbeiter*innen und Angestellten zu gestalten. Die sozialdemokratische Publizistin Marianne Pollak setzte sich wiederum für mehr Radioprogramme für Frauen ein.

Mit dem Radio, das in der Bevölkerung eine unglaubliche Begeisterung auslöste, wurde in den 1920er-Jahren eine Vielzahl an Erwartungen verbunden. Radiopionier*innen, -amateur*innen und Funker*innen hofften, dass das neue grenzüberschreitende Medium zur Völkerverständigung beitragen werde. Es sollte jedoch ganz anders kommen. Im Austrofaschismus wurde die RAVAG schließlich zum Brennpunkt politischer Entwicklungen und zum Sprachrohr der Regimes. Wer die Macht über das Radio hatte, konnte die Geschicke des Landes zumindest zeitweilig lenken: die Februarkämpfe 1934, der NS-Putschversuch 1934, die „Volksabstimmung“ und der „Anschluss“ wurden per Radio kommentiert, die Bevölkerung entsprechend angewiesen und dirigiert. Der 11. März 1938 bedeutete das Ende der RAVAG, der Programmbetrieb wurde von der deutschen „Reichsrundfunkgesellschaft“ übernommen, das Radio in den Dienst der NS-Propaganda gestellt. Am 6. April 1945 fand die letzte Sendung des „Reichssenders Wien“ statt. Während der NS-Zeit wurde das Radio zu einem wichtigen Instrument der Propaganda. Es kam zu einer regelrechten Dauerbeschallung mit menschenverachtender und rassistischer Hetz-Propaganda. Zugleich bot das grenzenlose Medium der Opposition die Möglichkeit, unterdrückte Informationen zu verbreiten und vor allem in diktatorischen Systemen für Freiheit und Demokratie zu werben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen die Alliierten die österreichischen Sendeanlagen und etablierten eigene Radiosender, um sie für Zwecke der „Reeducation“ bzw. „Reorientation“ und zur Propagierung des eigenen Werte- und Gesellschaftssystems zu nutzen. Mitunter entwickelten sie moderne Formate, die nach der Kontrollzeit fortgeführt wurden. 1953 übergaben die Kontrollmächte die Radiosender an die österreichischen Verwalter. In weiterer Folge entstand der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk (ORF), dessen zentrale Aufgabe darin bestand, ein dichtes österreichweites Sendernetz zu errichteten, um der gesamten Bevölkerung den Zugang zum Hörfunk zu gewährleisten und alle Bundesländer in die Programmgestaltung einzubinden. Zugleich sollte über identitätsstiftende Programmschienen, die Idee der „österreichischen Kulturnation“ Verbreitung finden.

Über lange Zeit blieb Österreich, wie viele andere europäische Länder, ein medial mehr oder weniger geschlossener Raum. Das Rundfunkmonopol blieb in Österreich lange Zeit bestehen, wenn auch ab Ende der 1970er-Jahre immer wieder Piratensender (Radio Sozialfriedhof, Radio Widerstand, Radio Ö frei, Radio 101, Radio Rübezahl etc.), und somit Sender ohne Lizenz, ihren Betrieb aufnahmen, um ein anderes, alternatives Programm anzubieten. 1994 trat schließlich ein neues Regionalradiogesetz in Kraft, mit dem das Monopol teilweise aufgehoben wurde. 1998 wurde Privatradio bundesweit erlaubt.

Anlässlich „100 Jahre Radio“ präsentiert der ORF einen Themenschwerpunkt, der die vielen Seiten des Mediums Rundfunk und seine Geschichte in den Fokus rückt. Auch einige Ausstellungen und Publikationen widmen sich der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung des Radios.

Sendereihen

Ein Jahrhundert Kulturbeschleuniger Radio (1), 30.09. | Ö1 | ORF-Radiothek

DI | 01 10 2024 – oe1.ORF.at

DO | 03 10 2024 – oe1.ORF.at

Ö1 – Podcast – ORF Sound

Als die Utopie auf Sendung ging – ORF Topos

Radiosendungen: Live im TMW | Event | TMW (technischesmuseum.at)

„100 Jahre Radio in Österreich“ – ein multimedialer ORF-Schwerpunkt – der.ORF.at

Ausstellungen

100 Jahre Radio | Mediathek

100 Jahre Radio | Ausstellung | Technisches Museum Wien

Publikationen

Konrad Mitschka/Karin Moser/Stefan Benedik (Hg.): Radiomomente. Erinnerungen und Analysen zu 100 Jahren Radio in Österreich, Wien 2024.

Karin Moser (Hg.): „Hearing is Believing“: Radio(-Programme) als strategisches Propagandainstrument, Göttingen 2023.

Bild: https://www.auditive-medienkulturen.de/2023/05/02/neu-hearing-is-believing/

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