Die AvS sollte die ehemals Verfolgten bei ihren Anträgen auf Entschädigungsleistungen unterstützen, letztlich diente sie aus Sicht der Parteiführung aber auch dazu, die Spezialinteressen ihrer eigenen Verfolgten innerparteilich einzuhegen. Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher hatte mit dem öffentlichen Beschweigen seiner langjährigen KZ-Haft vorgemacht, was bald zum ungeschriebenen Ethos innerhalb seiner Partei werden sollte: Die persönlichen Widerstands- und Verfolgungserfahrungen hob man möglichst nicht hervor, denn davon brauchte sich die SPD in der postnationalsozialistischen Nachkriegsgesellschaft keine Stimmenzuwächse zu erhoffen.
In einstigen Zentren des Widerstands wie dem Rhein-Ruhr-Gebiet konnte sich die AvS recht schnell etablieren, in anderen Gegenden aber verlief der Aufbauprozess sehr zäh. Zahllose Parteimitglieder mussten wiederholt daran erinnert werden, auf eine Zusammenarbeit mit der VVN zu verzichten: 1949 gehörten ihr immer noch rund 17.000 SozialdemokratInnen an. Viele fühlten sich von der VVN besser vertreten, und so gab es zahlreiche Proteste gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss und die nur schlecht anlaufende Arbeit der AvS.
Nach Inkrafttreten des Bundesentschädigungsgesetzes von 1953 gewann die AvS an Bedeutung und an Ansehen unter den Verfolgten in der SPD: Zehntausende von AntragstellerInnen beriet sie jährlich in ihren komplizierten und langwierigen Entschädigungsverfahren. Zwar bot die AvS den Verfolgten einen Raum zur Pflege ihres Traditionsbewusstseins, zu einer einflussreichen Interessenvertretung konnte sich die AvS aber nicht entwickeln. Nachdem die Kernphase der Entschädigungsverfahren in den späten sechziger Jahren abgeschlossen war, versank die AvS in der Bedeutungslosigkeit – nicht zuletzt durch interne Querelen und Streitigkeiten. In der SPD ging das Interesse an den Anliegen der Verfolgten generationsbedingt zurück, und die Betroffenen selbst – vorwiegend zwischen 1900 und 1910 geboren – kamen nun ins Rentenalter.
Nach langem Drängen der Verfolgten sagte Willy Brandt Ende der siebziger Jahre seine Unterstützung für eine Wiederbelebung der AvS zu, die 1979 mit einer großen Konferenz in München zelebriert wurde. Die späte Reaktivierung war auch durch einen Motivationsschub von außen zu erklären: Die Ausstrahlung der TV-Serie „Holocaust“ hatte eine Welle des öffentlichen Interesses an den Schicksalen der jüdischen Verfolgten und Überlebenden ausgelöst. Dieses Medienereignis übte eine katalytische Wirkung auf die AvS und ihre Mitglieder aus, die sich jetzt selbst als Zeitzeugen entdeckten. In der SPD stieß diese Entwicklung einen Prozess der Selbsthistorisierung und des wiedererwachten Interesses an der eigenen Widerstands- und Verfolgungsgeschichte an.
Durch den Boom der „Geschichte von unten“ fand die AvS in den achtziger Jahren zu neuem Selbstbewusstsein und mischte sich in zahlreiche geschichtspolitische Debatten der Ära Kohl ein. Dennoch konnte sich die AvS auch jetzt nicht mehr zu einer einflussreichen Akteurin im gedenk- und geschichtspolitischen Feld entwickeln. Das lag auch am fortgeschrittenen Alter ihrer Mitglieder und daran, dass viele neue Initiativen von einer sehr viel jüngeren Generation der Geschichtswerkstättenbewegung getragen wurden. Und ihnen ging es nun auch um ganz andere, über Jahrzehnte vernachlässigte Opfer- und Verfolgtengruppen.
Dass die AvS Ende der neunziger Jahre begann, mit dem Arbeitskreis der in der SBZ/DDR verfolgten Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten, 2016 mit ihm fusionierte und sich zugleich für jüngere, selbst nicht verfolgte Mitglieder öffnete, war in Anbetracht der im Aussterben begriffenen Generation der NS-Verfolgten nur folgerichtig. Wichtig war aber auch die 2010 erfolgte Aufhebung des Unvereinbarkeitsbeschlusses zur VVN/BdA, die sich seit den siebziger Jahren schrittweise von ihrer stark kommunistischen Prägung gelöst hatte. Heute ist die AvS nur noch in einigen SPD-Landesverbänden aktiv – allen voran in Hamburg – und leistet dort aber weiterhin wichtige Erinnerungsarbeit.
Web-Tipp: http://www.avs.spd.de/
Kristina Meyer
Foto: AvS_Netzl_Kopitsch_Martens.jpg Credits: Bernd Pfeiffenberger
Fototext: Gerald Netzl mit Wolfgang Kopitsch und Holger Martens von der AvS (v. l.)
Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer
10-11-12/2023“
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Text: von Dr. Gerald Netzl