27. Juli 2023: Stellungnahme der ARGE der NS-Opferverbände zum Reformvorhaben in Bezug auf den Nationalfonds

Die in der Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen Opferverbände (ARGE) und damit als vom Opferfürsorgegesetz zur Vertretung der Interessen der NS-Opfer und Widerstandskämpfer/innen berufenen Institutionen nehmen zum Reformvorhaben in Bezug auf den Nationalfonds wie folgt Stellung:

Im Sinne des antinationalsozialistischen Grundkonsenses der Republik müssen wir leider auf diesem Weg unsere Überlegungen zu einer umfassenden Novelle des Nationalfondsgesetzes auf Initiative der Abgeordneten Mag. Martin Engelberg und Mag.a Eva Bilmlinger Stellung nehmen, da wir keine Möglichkeit bekommen haben, dies innerhalb des Kuratoriums des Nationalfonds zu debattieren.

Eingangs müssen wir festhalten, dass die gewählte Vorgangsweise, eine Initiative zur Reform des Nationalfondsgesetz zu setzen ohne das Gespräch mit den politischen Opferverbänden zu suchen, weder der erinnerungspolitischen Tradition des Nationalfonds entspricht noch den notwendigen Respekt gegenüber den Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern für Österreichs Freiheit in sich
trägt! In den vergangenen Jahrzehnten sahen sich die Opferverbände stets zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den Parlamentsfraktionen, Bundesministerien, VertreterInnen anderer Opferorganisationen sowie renommierten Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Politik im Kuratorium des Nationalfonds verpflichtet. Aus diesem Grund möchten wir eindringlich davor warnen, den Weg der konsensualen Initiativsetzung und Entscheidungsfindung zu verlassen. Andernfalls droht
der Nationalfonds und damit das Rückgrat der zivilgesellschaftlichen Erinnerungsarbeit in Österreich erheblichen Schaden zu nehmen.

Im Zuge dieser Stellungnahme können wir nur einige rudimentäre Kritikpunkte anführen, da wir eine umfassende Debatte innerhalb der Gremien des Nationalfonds einfordern. Zu der Individual-Förderung von Gedenkdienstleistenden über den Nationalfonds: Es ist für uns nicht nachvollziehbar, weshalb diese Förderung über den Nationalfonds und nicht über das zuständige Bundesministerium ausbezahlt werden soll. Diese doppelte Förderstruktur, dies auch angesichts der aktuellen kritischen Prüfung einer der beiden Trägerorganisationen, scheint uns nicht angebracht!
Zudem würde, angenommen es würde im Durchschnitt die Hälfte der maximalen Individualsumme ausbezahlt werden, dies über Euro 200.000, und somit ein Fünftel der gesamten Projektförderungen binden. Da dies zu Lasten anderer antifaschistischer zivilgesellschaftlicher Projekte geht, fordern wir die finanzielle Absicherung der Gedenkdienstleistenden über die dafür vorgesehenen bestehenden gesetzlichen Bestimmungen.

Hinsichtlich der Austauschprogramme für Jugendliche darf die ARGE festhalten, dass wir umfassende Bemühungen zur Bewusstseinsbildung im Zusammenhang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus unterstützen. Wir möchten jedoch anregen, die vorliegende Einschränkung aufzuheben und Austauschprogramme für Jugendliche auch für andere vom Nationalsozialismus verfolgte und ermordete Gruppen zu fördern! Der Nationalfonds laut Paragraph 1 Absatz 2 Nationalfondsgesetz hat das Ziel, die besondere Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus zum Ausdruck zu bringen. Es war stets unumstößlicher Konsens, dass dies auf alle Opfergruppen des Nationalsozialismus anzuwenden ist, und nicht nur auf einzelne.

Für die ARGE ist die Einsetzung eines Beirates nicht nachvollziehbar! Die bisherige Arbeit des Komites und Kuratoriums ist absolut zufriedenstellend und lässt keine Notwendigkeit zu einer Reform erkennen. Sofern von anderen Kuratoriumsmitgliedern eine stärkere Einbindung von WissenschafterInnen auch abseits der starken bestehenden Einbindung im Zuge des Kuratoriums als notwendig erachten, könnte
man eine partielle Erweiterung des Komitees andenken. Sofern der Beirat eingerichtet wird, fordern wir, dass die Arbeitsgemeinschaft namentlich im Beirat Aufnahme findet und somit einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der Erinnerung der NS-Opfer leisten kann!

Hinsichtlich der Änderungen im Zusammenhang mit der Österreich Ausstellung an der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau ist eine Klarstellung dahingehend notwendig, dass der Nationalfonds für die Gewährleistung des Betriebes der neugestalteten Länderausstellung zuständig ist. Im gegenständlichen Antrag scheint dies grob missverständlich zu sein! Im Initiativ-Antrag ist neuerdings von der Präventionsarbeit gegen Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Homophobie die Rede. Generell ist die getroffene Einschränkung auf diese vier Diskriminierungsformen für uns im Kontext des Nationalfonds nicht nachvollziehbar. Zudem sollte der
spezifische Kontext der NS-Verbrechen nicht noch weiter ausgehöhlt und aufgeweicht werden. Der Nationalfonds soll primär den Opfern des Nationalsozialismus gewidmet sein, und nicht der „allgemeinen“ Präventionsarbeit gegen vier ausgewählte Diskriminierungsformen.

Wir legen Protest dagegen ein, dass durch die Novelle des Gesetzes die lebensgeschichtlichen Zeugnisse von Opfern des Nationalsozialismus durch den Nationalfonds nicht mehr erforscht und dokumentiert werden dürfen. Diese Änderung ist für uns nicht nachvollziehbar und dürfte einem tiefen Misstrauen mancher Kuratoriumsmitglieder gegenüber den engagierten und kompetenten MitarbeiterInnen des Fonds entspringen.

Generell scheinen uns einige Änderungen eher aus dem Bereich des Misstrauens gegenüber der laufenden Arbeit des Fonds zu kommen als aus einem ehrlichen Verbesserungsanspruch. Abseits vieler Nebensächlichkeiten (jährliche Konferenz, eine undefinierte Plattform, zusätzliche administrative Berichtspflichten, Schwerpunktsetzungen als politische Einflussnahme auf die Zivilgesellschaft) gipfelt
dies in der Etablierung eines sogenannten Vorstandes. Für die ARGE ist die zusätzliche Schaffung eines Verwaltungspostens nicht nachvollziehbar. Einerseits hat der Nationalfonds so wenige Mitarbeitende wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Warum muss dann nun ein zweiter Management-Posten geschaffen werden? Andererseits finden wir das bestehende Vier-Augen-Prinzip als richtig. Dadurch, dass der Präsident des Nationalfonds in die laufende Arbeit des Fonds eingebunden ist, genießt der Fonds
besonderes Vertrauen! Über Jahrzehnte haben die MitarbeiterInnen des Fonds, mit der
Generalsekretärin an ihrer Spitze, unter der engen Abstimmung mit den jeweiligen Präsidenten des Nationalrates, tadellose Arbeit geleistet! Für uns nicht nachvollziehbar, weshalb diese gut funktionierenden Strukturen geändert werden sollen.

Mit dem Ersuchen um Berücksichtigung dieser Stellungnahme verbleiben wir
mit besten Grüßen

Dr. Gerald Netzl, Bund Sozialdemokratischer österreichischer AntifaschistInnen Verfolgten und Bekenner für Österreich FreiheitskämpferInnen,
WiderstandskämpferInnen und Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen

Dr. Winfried Garscha, Sprecher der ARGE der Opferverbände, KZ-Verband/VdA – Bundesverband österreichischer AntifaschistInnen, WiderstandskämpferInnen und Opfer des Faschismus

Dr. Norbert Kastelic, ÖVP Kameradschaft der politisch Verfolgten und Bekenner für Österreich

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