23. August 2022: Europäischer Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus

Am 23. August 1939 wurde der Deutsch-Sowjetische Nichtangriffspakt unterzeichnet. Seit 2009 ist dieser Tag ein europäischer Gedenktag an die Opfer des „Totalitarismus“.

Die Initiative den Jahrestag des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 als Gedenktag für die Opfer der beiden durch Staatsterror und Massenmord geprägten Diktaturen auszurufen, ging von politischen Emigranten aus den baltischen Staaten sowie anderen ostmitteleuropäischen Ländern in Nordamerika aus. 1986 fanden die ersten Kundgebungen unter dem Namen Black-Ribbon-Day in mehreren westlichen Großstädten statt. 1987 begannen auch im Baltikum Proteste, die 1989 zum 50. Jahrestag des Nichtangriffspakt eine Menschenkette (Baltischer Weg) über 600 Kilometer ausmachten.

Der europäische Gedenktag wurde ursprünglich von der Prager Erklärung (3. Juni 2008), die u. a. von Václav Havel, Joachim Gauck und zahlreichen Mitgliedern des Europäischen Parlaments unterzeichnet wurde, vorgeschlagen, und erinnert an den Molotow-Ribbentrop-Pakt.

Am 23. September 2008 haben 409 Mitglieder des Europäischen Parlaments eine Erklärung zur Unterstützung der Errichtung des Gedenktages unterzeichnet. Am 2. April 2009 wurde eine Entschließung zur Ausrufung des Tages mit 533 Stimmen (44 contra und 33 Enthaltungen) angenommen und auf Initiative der ostmitteleuropäischen Staaten der 23. August zum Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus erklärt und Kanada folgte mit dem Black Ribbon Day. Während Schweden und die ostmittel- und südeuropäischen Staaten das Datum in ihre nationalen Gedenkkalender aufnahmen, blieb das Datum in Deutschland, Frankreich und Großbritannien wenig beachtet.

Kritische Stimmen aus Historikerkreisen wie Yehuda Bauer machen auf Nivellierungstendenzen im Diktaturenvergleich aufmerksam. Ein Gedenktag für die Opfer aller Diktaturen könnte dazu verleiten, die unterschiedlichen Intentionen für das Morden der beiden Diktaturen außer Acht zu lassen und über eine Verharmlosung des präzedenzlosen Völkermordes an den Juden einem sekundären Antisemitismus Vorschub leisten. Andere wie Juliane Wetzel sehen die Gefahr, dass das Gedenken an den Holocaust mit dem Gedenken an Millionen Opfer des realen Sozialismus gleichgesetzt wird. Darunter sind aber auch Stimmen wie Martin Jander, der im Stil der Jungen Welt seiner Abneigung gegen die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft freien Lauf lässt. Die Sorge davor, „Verbrechen des 20. Jahrhunderts“ mit einem Gedenktag in einem Abwasch abhandeln zu wollen, sei eine deutsche bzw. westliche Sicht auf die Dinge. Aus osteuropäischer Sicht sei der Hitler-Stalin Pakt der Beginn einer langanhaltenden Terrorgeschichte, die von 1940 bis 1991 (Januarereignisse in Litauen 1991) währte und die daher noch in jeder Familienerzählung präsent ist. Aus dieser Sicht soll die Abscheu vor deutschen Verbrechen nicht dazu führen, dass sowjetischer Terror moralisch aufgewertet werde. Nach osteuropäischer Wahrnehmung wird das millionenfache Leid der Osteuropäer im Westen nicht ausreichend gewürdigt. Nach Ansicht von Uwe Neumärker sollte die Debatte um die richtige Erinnerungskultur, insbesondere eine, welche auch die Mitwirkung von Teilen der Osteuropäer am Holocaust in Erinnerung hält, weitergehen.

Gedenktafel für die Opfer des Stalinismus bei der Gedenktafel für Stalin

Im Frühjahr 2012 wurde unter der Stalin-Gedenktafel an der Fassade des Hauses in 12., Schönbrunner Schloßstraße 30 eine Zusatztafel angebracht, die an die Opfer des Stalinismus erinnert. Die Gemeinde Wien, unter deren Obhut die Tafel steht, entschloss sich dazu, problematische Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum zu kontextualisieren und mit erklärenden Zusatztafeln zu versehen.

Die Inschrift der Zusatztafel lautet:

„Im Gedenken an die Opfer des Stalinismus

Diese Gedenktafel wurde 1949 von Bürgermeister Theodor Körner anlässlich des 70. Geburtstages von Josef Stalin (1879 – 1953) enthüllt. Sie sollte an den einzigen Aufenthalt des späteren sowjetischen Diktators in Wien erinnern. Heute soll diese Gedenktafel Mahnung und Erinnerung sein an Millionen ermordeter und leidender Menschen der Sowjetunion, aber auch an Hunderte von österreichischen Opfern

des Stalinismus: das waren 1933/34 nach Ausschaltung des demokratischen Parlaments und Etablierung des Ständestaates politische Flüchtlinge und ab März 1938 vor allem jüdische Verfolgte, die dem Nazi-Terror entkommen wollten.“

Foto:

Zusatztafel ‚Im Gedenken an die Opfer des Stalinismus‘ unter der Gedenktafel für J. W. Stalin, FC: Rolf M. Urrisk-Obertyński

Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ischer_Tag_des_Gedenkens_an_die_Opfer_von_Stalinismus_und_Nationalsozialismus

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Gedenktafel_Opfer_des_Stalinismus_bei_Gedenktafel_f%C3%BCr_Stalin

https://www.erinnern.at/gedenktage/23.-august/23-august-ein-gedenktag-als-ausdruck-eines-gemeinsamen-europaischen-geschichtsbewusstseins-oder-von-geschichtsklitterung

Literatur:

Thomas LutzDer 23. August – Thesen zur Installierung eines europäischen Gedenktages für alle Opfer von Diktaturen und Totalitarismen. pdf. In: Festschrift für Brigitte Bailer. Hrsg.: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 2012.

Günter MorschDer 23. August – ein geeigneter europäischer „Gedenktag für die Opfer aller totalitärer und autoritärer Diktaturen“? In: Christoph Koch (Hrsg.): Gab es einen Stalin-Hitler-Pakt?, Peter Lang 2015, ISBN 978-3-631-66422-3, S. 313–329.

Stefan TroebstVom 22.Juni 1941 zum 23.August 1939: Zwei Erinnerungsorte in der Geschichtspolitik des größeren Europa. pdf, Heinrich-Böll-Stiftung

Stefan Troebst: Der 23. August als euroatlantischer Gedenktag? In: Der Hitler-Stalin-Pakt 1939 in den Erinnerungskulturen der Europäer. Wallstein, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0937-1, S. 85 ff.

Juliane WetzelEine Trivialisierung des Holocaust? Der 23. August als Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus. In: Ein Kampf um Deutungshoheit – Politik, Opferinteressen und historische Forschung. Metropolverlag 2013, ISBN 978-3-86331-110-0.

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