16. Juni 2022: Österreichischer Auslandsdienst – Eingeforderte Verantwortung

Am 7. Dezember 1970 besuchte der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt
Warschau, um dort die Beziehung zwischen der Volksrepublik Polen und
der Bundesrepublik Deutschland zu klären. Als Teil davon besuchte er zur
Kranzniederlegung das Denkmal an die Toten des Warschauer Ghettos,
wo er unerwartet auf die Knie fiel. Es war eine Geste, die als Bitte um
Vergebung für die Gräueltaten der Nationalsozialisten verstanden wurde
und als Bild um die Welt ging.
1975 besuchte Andreas Maislinger das Museum Auschwitz-Birkenau, wo
er zur Überzeugung kam, dass auch die Republik Österreich für das, was
dort und an vielen anderen Orten geschehen war, Verantwortung übernehmen sollte. Die Idee für einen österreichischen Gedenkdienst war geboren. 1980 leistete er über Aktion Sühnezeichen Friedensdienste selbst
einen Freiwilligendienst in Auschwitz. Am 8. Juli 1991 bekannte sich Bundeskanzler Franz Vranitzky in einer Rede im Nationalrat zur moralischen
Mitverantwortung der Bundesregierung für die Taten des Nationalsozialismus. Am 1. September 1992 wurde der erste österreichische Gedenkdiener in das Museum Auschwitz-Birkenau entsandt.
Der Gedenkdienst ist ein Dienst zur Erinnerung an die Verbrechen des
Nationalsozialismus und zum Gedenken an die Opfer der Shoah. Dies
wird getan, indem meist (aber nicht nur) junge Österreicher*innen an
Gedenkstätten sowie jüdische Kulturzentren weltweit gesandt werden.
Zivildienstpflichtige Personen können dadurch ihren Zivildienst ersetzen,
wenn sie mindestens 10 Monate im Ausland bleiben. Nicht zivildienstpflichtige Personen (inklusive Frauen) können einen 6 – 12-monatigen
Freiwilligendienst im Ausland leisten.
Der 1998 gegründete Verein für Dienste im Ausland (2006 umbenannt in
Verein Österreichischer Auslandsdienst) bietet neben dem Gedenkdienst
auch die Möglichkeiten für einen Sozialdienst – ein Dienst zur Unterstützung sozial verwundbarer Personengruppen sowie Umweltinitiativen und einen Friedensdienst – ein Dienst zum Beitrag von Frieden – an.
Inzwischen unterhält er über 100 Partnerschaften in ca. 50 Ländern der
Welt, wo ein Auslandsdienst abgeleistet werden kann.
Der Verein entsendet freiwillige Österreicherinnen nicht nur ins Ausland und betreut sie während dieser Zeit, sondern bereitet sie auch auf ihren Auslandseinsatz vor. Dies geschieht in Form von wöchentlichen OnlineKonferenzen, monatlichen Treffen in allen Bundeshauptstädten, Seminaren, Studienreisen, Interessensgruppen, und mehr. Konkrete Beispiele sind die jährliche Polen Holocaust Studienreise, ein Sozialdienst- sowie Friedensdienst-Seminar, das Understanding Israel Seminar und die biannualen Jahrgangstreffen. Freiwillige werden im Rahmen des österreichischen Freiwilligengesetzes entsandt. Dadurch werden sie vom österreichischen Sozialministerium finanziell unterstützt, sind diesem berichterstattungspflichtig und arbeiten während ihrer Zeit im Ausland mit den österreichischen Vertretungsbehörden zusammen. Von diesen werden sie oftmals als die „kleinen Botschafterinnen Österreichs“ bezeichnet.

Beispiele von Gedenkdienst-Einsatzstellen sind das Auschwitz Jewish
Centre in Oswiecim, Yad Vashem in Jerusalem, das Simon Wiesenthal
Center in Los Angeles, das Center for Jewish Studies in Shanghai und das
Johannesburg Holocaust and Genocide Centre. Sozialdienst-Einsatzstellen sind beispielsweise die Ashraya Foundation for Children in Indien, die
Tropenstation La Gamba in Costa Rica und die High Atlas Foundation in Marokko. Friedensdienst kann man z.B. am Srebrenica Genocide Memorial in Bosnien und Herzegowina, am Kigali Genocide Memorial in Ruanda
oder am Centre for Peace and Conflict Studies in Kambodscha leisten.
Der Verein Österreichischer Auslandsdienst versucht (jungen) Menschen
die Möglichkeit zu bieten, durch das Übernehmen von Verantwortung innerhalb der Vereinsstrukturen, Bildungsinitiativen und die Arbeit als Freiwillige im Ausland transformative Erfahrungen zu bieten, die sie hinsichtlich Geschichtsbewusstsein, Verantwortung gegenüber Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft sowie kulturellem Verständnis sensibilisieren.
Seine Dienste zielen auf die Permanenz von Leben auf Erden.
Auch für das Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau am Inn hat er einen Vorschlag ausgearbeitet: Anstelle es als Polizeistation zu nutzen, sollte
es in ein Haus der Verantwortung verwandelt werden, als eine Stätte, in
der junge Menschen aus der gesamten Welt zusammenkommen, um Verantwortung zu übernehmen und im Sinne des Kniefalls von Warschau von
Willy Brandt in den Dialog treten.


Webtipp: http://www.auslandsdienst.at
Daniel Schuster

Aus: Kämpfer

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