Vor 119 Jahren, am 15. November 1906, nahm in der Berliner Lindenstraße 3 die erste SPD-Parteischule ihren Betrieb auf. Die Vorbereitungen waren umfassend: Die Dozenten erschienen vollzählig und gut vorbereitet, die dreißig Teilnehmer und eine Teilnehmerin reisten pünktlich aus dem gesamten Reichsgebiet an, und der frisch renovierte Unterrichtsraum im dritten Stock des zweiten Hofes stand bereit. Trotz der verstärkten Präsenz der kaiserlichen Geheimpolizei rund um das Gelände begann der Unterrichtsbetrieb wie geplant.
Die Einrichtung der Parteischule war das Ergebnis eines strategischen Entschlusses zur systematischen Förderung politischer Bildung. Bereits im Juli 1906 hatte der Parteivorstand die Einführung von Ausbildungskursen für Parteifunktionäre angekündigt. Ein Rundschreiben vom August desselben Jahres konkretisierte die Anforderungen an Interessierte: Gefordert waren politisches Grundwissen, Engagement und die Bereitschaft, einen intensiven Vollzeitkurs erfolgreich zu absolvieren. Die Schulung war zeitlich und inhaltlich anspruchsvoll. Der Unterricht fand vormittags in festen Einheiten statt, ergänzt durch betreute Selbststudienphasen am Nachmittag. Die Investitionen waren hoch und machten einen spürbaren Teil des Parteietats aus, was die Bedeutung des Vorhabens unterstrich.
Das Curriculum umfasste ein breites Spektrum politisch relevanter Disziplinen. Dazu gehörten Geschichte, Nationalökonomie, Sozialpolitik, Rechtswissenschaften, Rhetorik sowie naturwissenschaftliche Grundlagen. Zu den Lehrenden des ersten Jahrgangs zählten unter anderem Rudolf Hilferding, Franz Mehring, Anton Pannekoek und Kurt Rosenfeld, die mit ihren Beiträgen wesentliche Impulse für die theoretische Weiterentwicklung der Arbeiterbewegung setzten.
Trotz der staatlichen Überwachung entwickelte sich die Parteischule in den folgenden Jahren zu einer zentralen Einrichtung der sozialdemokratischen Bildungsarbeit. Bis 1914 fanden sieben Kurse statt, an denen insgesamt über zweihundert Personen teilnahmen. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde der Unterrichtsbetrieb eingestellt. Erst 1986 knüpfte die Partei wieder an die historische Tradition an und gründete auf Initiative von Willy Brandt und Peter Glotz eine neue Parteischule. Viele heutige Bildungsprogramme gehen aus dieser Wiederbelebung hervor.
Die historische Entwicklung der Parteischule verdeutlicht die langfristige Bedeutung strukturierter politischer Qualifizierung innerhalb der Sozialdemokratie. Sie zeigt, wie früh der Grundstein für professionelle Bildungsarbeit gelegt wurde und welche Rolle solche Institutionen für politische Organisationen spielen können.