9. Mai 2025: Karl Renner: Kooperation als Erfolgsmaxime?

(c) Verlagshaus Schlosser

Dieser Text erschien am 3. Mai 2025 in der Printausgabe des „Standard“, verfasst von Gregor Auenhammer:

Karl Renner (1870–1950) gehörte zu den Gründervätern der Ersten wie auch der Zweiten Republik. Dazwischen liegen Bekenntnisse zur Weimarer Republik, Verdienste um die Demokratie, aber auch sein „Ja“ zum „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938. Wer schweigt, stimmt zu, lautet eine alte Weisheit. Die 20er- und 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts waren in der Tat jener konfliktbeladene Zentralpunkt des von Historiker Eric Hobsbawm beschriebenen Zeitalters der Extreme. „Wer, so darf im Rückblick (…) gefragt werden, konnte seine Integrität in diesem von Weltwirtschaftskrise und expansivem Militarismus angefachten politischen Orkan, der über Europa hinweggezogen war, ohne persönliche Blessuren bewahren?”, fragt Wolfgang Petritsch in seinem Vorwort zu Siegfried Naskos Opus Karl Renner und der Anschluss.

Siegfried Nasko, Historiker und Doyen der Karl-Renner-Forschung, beleuchtet in seinem aktuellen Buch die unterschiedlichen Rollen und teils diametral unterschiedlichen Positionen Karl Renners zum Nationalsozialismus, zur Eigenständigkeit Österreichs nach dem Untergang der Monarchie, in der Zwischenkriegszeit und der Ära nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Stefan Karner nannte Renner einmal die „Inkarnation eines deeskalierenden Politikers“, Josef Stalin bezeichnete ihn als „schlauen Fuchs“, war Renner es doch, der sich in den letzten Kriegstagen in Richtung Militärkommando der Sowjetunion in Gloggnitz aufmachte, um sich für eine Nachkriegsregierung Österreichs ins Spiel zu bringen. Stalin willigte bekanntlich ein, die Zweite Republik war Ende April 1945 initiiert. Was aber passierte davor?

Volatile Zwischenkriegszeit

Nach dem Ende der Doppelmonarchie war der Anschluss an die Weimarer Republik für viele Österreicher ein Lebenstraum. Obwohl Renner Nationalismus prinzipiell kritisch sah, unterstützte er den Anschluss an die sozialistisch geführte Weimarer Republik „aufgrund wirtschaftlicher Vorteile“. Seit 1923 bekämpfte er den Nationalsozialismus aktiv, aber nicht stringent. Karl Renners öffentliches „Ja“ zur NS-Anschluss-Volksabstimmung am 3. April 1938 gilt als sein größter politischer Fehler.

Nasko geht auch der Frage nach, wie Adolf Hitler 1933 plötzlich Diktator werden konnte. Neue Forschungen und Erkenntnisse zeigen, dass Reichspräsident Hindenburg, bisher als Bremser angesehen, anscheinend entscheidend dazu beitrug. Um einer Untersuchung wegen Korruption zu entgehen, versprach Hitler ihm Immunität, woraufhin Hindenburg ihm die Kanzlerschaft übertrug. Die Diktatur etablierte sich mit Hindenburgs Billigung und der Loyalität von Behörden und Militärs.

Nach Hitlers Machtübernahme 1933 lehnte Renner, wie das Gros der SDAP, den Anschluss entschieden ab. Er setzte sich aktiv für Österreichs Unabhängigkeit ein. Am Tag des Anschlusses, am 12. März 1938, plante ein deutscher Botschaftsangehöriger ein Attentat auf Hitler, das jedoch scheiterte. Renner versuchte, seine (halb)jüdische Familie nach Schweden in Sicherheit zu bringen, doch das Auftauchen der Gestapo zwang ihn, andere Wege zu finden. Um seine Familie zu schützen, gab Renner daraufhin ein Interview, in dem er den Anschluss begrüßte, distanzierte sich jedoch von der „undemokratischen Durchführung“. Dennoch verschonten die Nazis seinen jüdischen Schwiegersohn nicht – der Sozialist Robert Danneberg starb 1942 im KZ Buchenwald. Renners taktisches „Ja2 war gescheitert.

Opfermythos

Karl Renner, oft als „Vater der Republik“ geehrt, versuchte im Kompromiss der Bevölkerung Hunger, Leid, Armut, Arbeitslosigkeit und Blutvergießen zu ersparen. Renner war es aber auch, der den „Opfermythos“ begründete, der lange Zeit wie ein dunkler Schatten über dem Land lag, der eine ordentliche, differenzierte Auseinandersetzung mit Antisemitismus, Faschismus und Nationalsozialismus behinderte. Nasko analysiert Renners Agieren, dessen Credo „Kooperation als Erfolgsmaxime“. Er zeichnet das Bild eines Staatsmanns, der sich als „Gefühlssozialist“ Verdienste um die Demokratie erworben hatte, der Reformgesetze wie das Frauenwahlrecht, die Arbeitslosenversicherung, den Acht-Stunden-Tag sowie mit Gründung der Arbeiterkammer die Sozialpartnerschaft auf den Weg brachte, macht aber auch äußerst luzide und verständlich Brüche in Renners Biografie – in der politischen Motivation, im konkreten Handeln – nachvollziehbar.

Buchtipp: Siegfried Nasko, „Karl Renner und der Anschluss. Akteure und Hintergründe“. Mit Beiträgen von Wolfgang Petritsch, Michael Ludwig, Renner Brook Skidmore et alii. € 29,90 / 564 Seiten. Verlagshaus Schlosser, Pliening 2025

online-Version des Artikels siehe hier: https://www.derstandard.at/story/3000000268032/maeandernde-rollen-der-typisch-oesterreichische-staatsmann-karl-renner

Titelbild: (c) Verlagshaus Schlosser

Hinterlasse einen Kommentar