21. April 2025: Die Pioniere des Sozialismus im Wiener Rathaus

Das neue Wiener Rathaus wurde im Juni 1885 eröffnet, in jenem Monat fand auch die erste Gemeinderatssitzung statt. An eine Volks(!)Vertretung für alle war damals noch lange nicht zu denken. Vor 125 Jahren vollzog sich dann in der Reichshaupt- und Residenzstadt Historisches: Mit Jakob Reumann und Franz Schuhmeier zogen die ersten beiden Sozialdemokraten in den damals 158 Mitglieder zählenden Wiener Gemeinderat.

Der Gemeinderat bestand ab 1900 aus drei privilegierten Wahlkörpern mit je 46 (später 48) Mitgliedern, deren (männliche) Wählerschaften nach Berufs-, Bildungs- und Einkommenskategorien abgestuft waren, und aus einem neu geschaffenen vierten, allgemeinen Wahlkörper mit zwanzig (später 21) Mitgliedern, von denen jeder Bezirk eines zu wählen hatte. 1900 hatte Wien 20 Bezirke, nach der Eingemeindung von Floridsdorf am 28. Dezember 1904 21. Das blieb so bis 1938. Im vierten Wahlkörper waren alle männlichen Gemeindebewohner über 24 Jahre mit österreichischer Staatsbürgerschaft wahlberechtigt, wenn sie im Gemeindegebiet von Wien ununterbrochen seit drei Jahren ihren ordentlichen Wohnsitz hatten, auch wenn sie bereits im ersten, zweiten oder dritten Wahlkörper wahlberechtigt waren. Dieses doppelte Stimmrecht sowie die lange Voraussetzung der Sesshaftigkeit lehnte die Sozialdemokratie – erfolglos – ab.

Die liberale Ära im Gemeinderat endete 1895. Die dann im Wiener Gemeinderat und niederösterreichischen Landtag dominierenden Christlichsozialen verhinderten trotz heftiger Proteste und Demonstrationen der Arbeiterschaft eine Reform des Gemeinderatswahlrechts analog zum Reichsrat – also eine Aufhebung der Kurien -, hätte das doch eine massive Schwächung ihrer Position gebracht. EINE Stimme von einem Hausherrn hatte ebenso viel Gewicht wie die von 32 Arbeitern, das sagt alles. Der Wahlkampf 1900 wurde leidenschaftlich und hart geführt, die Wiener Gemeinderatswahl vom 31. Mai 1900 sollte historisch werden: Jakob Reumann wurde für Favoriten und Franz Schuhmeier für Ottakring gewählt. In allen anderen 18 Bezirken waren die Christlichsozialen stärker als Sozialdemokraten bzw. Deutschnationale. Grund für diese verzerrte Dominanz war das Mehrheitswahlrecht, wie es heute noch in Großbritannien gilt. Die Christlichsozialen erzielten wienweit in der 4. Kurie 77.608 Stimmen ggü. 56.306 der sozialdemokratischen Kandidaten, trotzdem war das Verhältnis der gewonnenen Sitze 18:2.

Franz Schuhmeier schrieb in der „Volkstribüne“: „Die Sozialdemokratie in Wien steht am Anfang ihrer Erfolge, während die Luegerei beim Anfang vom Ende angekommen ist. Wir sind jetzt nur unser zwei, aber nach sechs Jahren werden wir unser mehrere sein. Der 31. Mai bleibt für die Sozialdemokraten Wiens ein Ehrentag – die ersten sozialdemokratischen Gemeinderäte wurden gewählt.“

Der Dritte im Bunde sollte bald Anton Schlinger werden, der nach der Eingemeindung von Floridsdorf in einer Ergänzungswahl 1905 gewählt wurde. Bei den nächsten regulären Wahlen am 9. Mai 1906 wurden Reumann, Schuhmeier und Schlinger wiedergewählt. Sie durften sich über Zuwachs aus Margareten, Meidling, Rudolfsheim (damals 14. Bezirk) und der Brigittenau freuen. Franz Domes, Ludwig Wutschel, Ferdinand Skaret und Leopold Winarsky zogen ins Rathaus ein. 110.750 schwarzen Stimmen standen 97.094 rote entgegen. Auch in den ersten drei Kurien dominierte weiterhin schwarz: Von mittlerweile insgesamt 165 Gemeinderäten gehörten 139 dem „Bürgermeisterklub“ an.

1910 verstarb der überaus populäre Bürgermeister Karl Lueger. Innerhalb der CSP entbrannte ein heftiger Kampf um sein Erbe, politische Richtungsstreitigkeiten schwächten die Partei. Das sollte sich bei der Reichsratswahl am 20. Juni 1911 auswirken: Von 30 in Wien zu vergebenden Mandaten errang unsere Partei 19, die Deutschnationalen neun und die CSP nur zwei. Mit ein Grund war auch, dass unsere Partei und die Deutschnationalen eine Vereinbarung trafen, im zweiten Wahlgang den jeweils Bessergestellten der anderen Partei zu unterstützen und damit eine Mehrheit gegen die CSP im Wahlkreis zu erringen. Eine Strategie die aufging!

Bei der letzten Gemeinderatswahl nach Kurienwahlrecht am 23. April 1912 gab es keine so weitgehende Absprache. Die Kandidaten unserer Partei gewannen im ersten Wahlgang die Bezirke 5, 10, 14, 16, 20 und 21. In der Stichwahl siegten wir im 2., 11. und 15. Bezirk, verloren aber Meidling.

Die erste wirklich freie, gleiche, geheime und direkte Wiener Gemeinderatswahl fand am 4. Mai 1919 statt – endlich war jede Stimme gleich viel wert, endlich durften Frauen wählen! Die SDAP errang 100 von 165 Mandaten (CSP 50, Rest vier weitere Parteien). 1923 wurde auf 120 Mitglieder verkleinert, 1932 auf 100, diese Zahl gilt auch heute noch.

Der Rest ist Geschichte. Nein, besser: …ist Gegenwart und Zukunft!

Text von Gerald Netzl

Fotos: Reumann_Schuhmeier_Schlinger.jpg Kein CreditFototext: Die Pioniere des Sozialismus im Wiener Rathaus.

Quelle „Der Sozialdemokratische Kämpfer 1_2_3_2025“
Hier geht es zur gesamten Ausgabehttp://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2025/03/Kaempfer-1_2_3_2025.pdf

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