Jürgen Habermas, geboren am 18. Juni 1929 in Düsseldorf, ist einer der bedeutendsten Philosophen und Soziologen der Nachkriegszeit. Als Vertreter der zweiten Generation der Frankfurter Schule hat er die Kritische Theorie entscheidend weiterentwickelt. Seine Biografie und sein Werk spiegeln zentrale Debatten der Bundesrepublik wider: von der Aufarbeitung des Nationalsozialismus über die Studentenbewegung bis hin zur Globalisierung und digitalen Moderne. Mit einer beeindruckenden intellektuellen Lebensleistung hat sich Habermas nicht nur als Theoretiker, sondern auch als öffentlicher Intellektueller profiliert, der sich in gesellschaftliche und politische Fragen immer wieder pointiert eingemischt hat.
Kindheit, Studium und geistige Prägung
Habermas wuchs in einem bürgerlichen Umfeld in Gummersbach auf. Seine frühe Sozialisation fiel in die Zeit des Nationalsozialismus; er war Mitglied im Jungvolk, was später zu kritischen Nachfragen führte. Der Umstand, dass sein Vater Mitglied der NSDAP war, belastete ihn persönlich und politisch. Nach dem Krieg wandte sich Habermas entschieden gegen jede Form restaurativer Geschichtspolitik. Er studierte Philosophie, Geschichte, Psychologie, Literatur und Ökonomie in Göttingen, Zürich und Bonn, wo er 1954 mit einer Arbeit über Schelling promovierte. Schon in jungen Jahren wurde er durch den Pragmatismus und durch Karl-Otto Apel beeinflusst.
Ein einschneidendes intellektuelles Erlebnis war seine scharfe Kritik an Martin Heidegger, den er wegen dessen ideologischer Verstrickung in den Nationalsozialismus heftig angriff. Diese Haltung markiert eine Frühform seines ethisch motivierten Vernunftbegriffs.
Frankfurter Schule und Theorieentwicklung
1956 wurde Habermas Assistent am Institut für Sozialforschung in Frankfurt, wo er auf Max Horkheimer und Theodor W. Adorno traf. Die Spannungen zwischen seinem eigenen emanzipatorischen Theorieansatz und der eher pessimistischen Haltung seiner Mentoren führten jedoch bald zu einer Distanzierung. Seine Habilitation Strukturwandel der Öffentlichkeit (1961) analysierte die Entstehung, Transformation und drohende Erosion einer bürgerlichen Öffentlichkeit. Habermas zeigt, wie im 18. Jahrhundert in Salons und Kaffeehäusern ein Raum des Austauschs entstand, der unter Bedingungen kapitalistischer Massenmedien zunehmend entstellt wurde.
In den folgenden Jahren profilierte sich Habermas in zahlreichen Auseinandersetzungen – etwa im Positivismusstreit mit Karl Popper und Hans Albert – als Verfechter einer kritischen, normativ orientierten Sozialwissenschaft. 1981 erschien sein Hauptwerk Theorie des kommunikativen Handelns, in dem er auf der Basis von Sprechakttheorie, Pragmatik und Sozialtheorie ein Modell der „kommunikativen Rationalität“ entwickelte. Diese soll eine Basis für gegenseitige Verständigung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit liefern.
Politisches Engagement und öffentliche Wirkung
Habermas war nie ein Elfenbeinturm-Denker. Bereits in den 1960er-Jahren war er eine moralische Instanz innerhalb der sich radikalisierenden Studentenbewegung. Zwar solidarisierte er sich mit vielen ihrer Anliegen, kritisierte jedoch zunehmend deren dogmatische Tendenzen und warnte vor einem „Linksfaschismus“ – ein Begriff, den er später selbst als überzogen einschätzte. Nach einem Intermezzo am Max-Planck-Institut in Starnberg kehrte er in den 1980er-Jahren nach Frankfurt zurück.
In der Öffentlichkeit meldete er sich immer wieder zu Wort: während des Historikerstreits (1986), gegen die Relativierung des Holocaust, zur Wiedervereinigung, zur Asylgesetzgebung, zum Kosovokrieg und zur Bioethik. Besonders prägnant war seine Kritik an einem technokratisch vollzogenen Vereinigungsprozess ohne demokratische Deliberation. Noch im hohen Alter verfasste er Essays zu den Krisen der EU, zur Rolle der Religion in einer postsäkularen Gesellschaft und zur Bedrohung demokratischer Diskurse durch digitale Medien.
Kritik
Habermas‘ Werk ist vielfach gewürdigt, aber auch kritisiert worden. Poststrukturalisten wie Michel Foucault bemängeln seine Vorstellung einer idealen Kommunikationssituation als zu abstrakt und wirklichkeitsfern. Die ständige Annahme eines herrschaftsfreien Diskurses erscheint vielen als utopisch. Feministische Denkerinnen kritisieren seine Vernachlässigung von Gefühl, Körper und Care-Arbeit, während marxistische Theoretiker die relative Abkopplung seiner Theorie von materiellen Produktionsverhältnissen beanstanden.
Gleichwohl ist Habermas einer der wenigen Denker, die konsequent einen normativen Anspruch mit empirischer Gesellschaftsanalyse verbinden. Er ist ein Aufklärer im besten Sinne: jemand, der auf Vernunft und Verständigung setzt, ohne die Machtasymmetrien der Wirklichkeit zu leugnen.
Einordnung
Jürgen Habermas ist mehr als ein Theoretiker der Frankfurter Schule. Er ist ein engagierter Zeitzeuge, der die Diskurse der Bundesrepublik und darüber hinaus prägte. Sein Werk steht exemplarisch für das Ringen um eine öffentliche Vernunft in der Spätmoderne. Aus zeithistorischer Perspektive könnte sich Habermas einordnen lassen als Autor, der das Denken seiner Zeit nicht nur kommentiert, sondern mitgestaltet hat. In seiner Person verbinden sich akademische Exzellenz und politische Urteilskraft – eine Kombination, die in Zeiten wachsender Polarisierung und Informationsflut besonders wertvoll erscheint. Seine Vision einer vernunftgeleiteten Öffentlichkeit bleibt eine Herausforderung und ein Kompass für demokratische Gesellschaften im 21. Jahrhundert.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Habermas
Bild: Jürgen Habermas (2014) von Európa Pont – Habermans11, CC BY 2.0 (https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Habermas#/media/Datei:Habermans11_(14113765000).jpg)
Datei:Habermans11 (14113765000).jpg
Erstellt: 29. Mai 2014
Hochgeladen: 15. Dezember 2018